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Wenn du jemanden magst

Zur Begrüßung einander in den Arm nehmen? Das scheint auch hierzulande Fuß zu fassen. Das ist gar nicht mal schlecht – denn der Mensch braucht körperliche Nähe. Dringend

Ein Flugzeug stürzt auf mich zu. Das war mein erster Eindruck. Tatsächlich war es „nur“ eine Bekannte, die mich im Gewimmel der Innenstadt entdeckt hatte. Und jetzt ging sie auf mich los: den rechten Arm hoch in die Luft gerissen. Der linke, mit den Einkaufstaschen, blieb in Richtung Boden. Als ob ein Kind einen Düsenjäger im Sturzflug nachmachte.

Wie sich herausstellte, war das der Anlauf zu einer momentan schwer angesagten Art der Begrüßung: Man umarmt einander. Und zwar immer nur mit einem Arm. Und den muss man zuvor deutlich sichtbar in die Höhe recken. Um den Anderen zu warnen, was da auf ihn zukommt.

Eigentlich eine schöne Idee. Man zeigt jemandem, dass man ihn mag, indem man körperliche Nähe herstellt. In Italien ist man da weiter. Man umarmt einander nicht nur, sondern gibt angedeutete Küsschen auf die Wangen. In Japan dagegen wäre das undenkbar: Man hält höflich Distanz, verbeugt sich voreinander.

Irgendwo dazwischen: wir Deutschen mit unserem Händedruck.

Jedenfalls bislang. Denn der Händedruck scheint ausgedient zu haben: Mindestens in der jüngeren Generation, aber längst darüber hinaus, ist die Begrüßung per Umarmen mittlerweile auch hierzulande fast selbstverständlich.

Und das ist gut. Denn: Der Mensch braucht Nähe. Und zwar auch: körperliche Nähe.
Seelsorgerinnen und Therapeuten berichten, wie sehr die Einsamkeit zunimmt. Menschen leiden nicht nur darunter, dass ihnen niemand mehr zuhört. Sondern auch, dass sie niemand mehr berührt. Kein In-den-Arm-Nehmen. Kein Über-den-Kopf-Streichen. Kein Kuscheln. Kein Trösten. All das, wonach wir uns schon als Kind sehnen, bleibt für viele Menschen auch im Erwachsenenleben unerreichbar. Das tut niemandem gut.

Es gibt Menschen, die zum Arzt gehen, damit sie überhaupt noch jemand berührt. Studierende, die anonyme „Kuschelpartys“ veranstalten, weil sie die Einsamkeit fertig macht. Eheleute, die einander seit Jahren nicht mehr in den Arm genommen haben und darunter leiden. Und ihre Kinder auch.

Haut und Seele aber brauchen Berührungen. Studien haben wiederholt nachgewiesen, wie sensibel der Organismus auf taktile Reize reagiert: Wer dauerhaft ohne Berührungen auskommen muss, lebt körperlich und seelisch sehr viel ungesünder.

Das ist kein Aufruf zum Umsturz. Man muss nicht losstürmen und den Nächsten vor der Haustür jetzt gleich umarmen. In manchen Situationen – auf der Arbeit oder in der Jugenderziehung – ist aus guten Gründen ohnehin Zurückhaltung angesagt. Der Wunsch nach Nähe muss immer ausbalanciert werden mit dem Recht auf Selbstbestimmung. Sonst wird eine gute Absicht schnell übergriffig.

Aber: Wenn du jemanden wirklich magst; in deiner Familie, in deinem Freundeskreis. Warum zeigst du es ihm nicht? Oder ihr? Indem du diesen Menschen demnächst mal zur Begrüßung in den Arm nimmst. Und wenn es dir selbst passiert: Entspann dich. Lass es zu. Genieß es.