Hamburg/Trittau. Es sei im Herbst gewesen, erzählt Barbara Fischer. Da habe ein Arzt und Chormitglied angeboten, die gesamte Trittauer Kantorei gegen das Coronavirus zu impfen. Alle rund 80 Mitglieder hätten mitgemacht. Alle, bis auf zwei. „Die wollten partout nicht“, sagt Fischer. Da als Chorleitung die Balance zu halten und im Gespräch zu bleiben, das sei schwierig, so Fischer.
„Wir leben in einer angespannten Situation“, sagt Jörg Pegelow. Er leitet die Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der Nordkirche. Das Feld an Menschen, die die aktuelle Situation kritisch sehen, sei enorm weit. Da gibt es Impfgegner, politische Akteure, Anthroposophen, Alt-68er, Reichsbürger, Menschen, die mit einer potenziellen Impfpflicht oder bestimmten Maßnahmen der Coronapolitik ein Problem haben, aber grundsätzlich keine Verschwörungstheoretiker sind. „Was sie eint, ist eine sehr institutionenkritische Grundhaltung, was nicht nur den Staat, sondern auch die Wissenschaft und Institutionen wie die Kirche umfasst“, erklärt Pegelow. 95 Prozent seiner Vorträge und ein Drittel seiner Beratungen kreisen derzeit um dieses Thema.
Heftige Debatten
Die Umsetzung der Corona-Auflagen sorgt in den Kirchengemeinden für teilweise heftige Debatten. Das sei nachvollziehbar, sagt er. Manche Menschen würden sich dann zurückziehen, weil sie Beschlüsse nicht mittragen könnten.
Da falle dann der Vorwurf, dass die Gemeinde Menschen ausgrenzen würde. „Und das ist unausweichlich so. Das muss man ganz deutlich sagen“, so der Pastor. Vergleichsweise leicht sei es noch, sich an offizielle Verordnungen zu halten. Auf kommunalen Friedhöfen beispielsweise müssen sich Gemeinden bei Beerdigungen nach der dortigen Verordnungslage richten. Schwieriger wird es für Gemeinden, wenn sie einen Entscheidungsspielraum haben. In Schleswig-Holstein und Hamburg ist viel möglich. Von G0, ohne Einschränkungen, bis G2, Zutritt nur für Geimpfte und genesene Menschen. Doch ausgeschlossen würde eben so oder so jemand: die einen, weil sie sich nicht impfen ließen, oder eben diejenigen, die für sich nicht das Risiko einer Infektion in Kauf nehmen wollen. „Keine Entscheidung ist ideal. Da muss jede Gemeinde schauen, was angemessen ist“, so Pegelow.
Es bröckelt langsam
„Je länger es dauert, desto schwieriger wird es“, sagt Fischer. Denn die Gräben werden nicht kleiner. Im Gegenteil. Im nun bald dritten Pandemiejahr bröckelt es langsam. Nicht nur die musikalische Qualität, auch der Zusammenhalt im Chor. Das, „was den Kitt ausmacht“, das gemeinsame Singen, aber auch das Erleben von Gemeinschaft, fehlt. „Dabei ist das jetzt, wo sich die beiden Lager so abgrenzen, umso wichtiger“.
Gefährlich werde es, wenn Gemeinden unterstellt wird, sie würden durch die aktuelle Situation nicht mehr durchblicken, der Kritik äußernde Mensch aber schon. „Wenn in so einer Diskussion einer die Wahrheit für sich beansprucht und sich so auf eine höhere Stufe stellt, dann wird eine Schwelle überschritten“, so Pegelow.
Im Dialog
Wie aber geht man mit anderen um, wenn die inhaltlichen Gräben unüberbrückbar scheinen? „Es ist immer gut und richtig, im Dialog zu bleiben“, sagt Pegelow. Nicht um den anderen zu überzeugen. „So einen Graben überwindet man nicht mit Argumenten, sondern mit Verständnis dem anderen gegenüber“, sagt er. Hinzu käme, dass bei diesen Menschen das Misstrauen gegen wissenschaftliche Quellen groß sei, was eine sachliche Diskussion kaum möglich macht. Oftmals würde es dann helfen, sein Gegenüber nach den Gründen zu fragen. Oder die eigene Angst vor dem Virus einzugestehen. „Wichtig ist aber auch, nicht zu verschweigen, dass man eine andere Einstellung hat“, sagt Pegelow.
Oder aber verbindende Themen und Dinge fernab von Corona in den Fokus bringen. Beispielsweise das Singen. Denn, so erklärt es Barbara Fischer: „Singen und Angst sind im Gehirn am selben Ort verankert. Deswegen singen wir auch, wenn wir in den dunklen Keller gehen.“