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Wenn dein Kind dich nicht fragt

Glaube wird von Alt zu Jung weitergegeben, in Ritualen, Gesprächen und Werten. Warum dieses Weitergeben immer weniger funktioniert, soll jetzt in einer Studie untersucht werden.

„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ – so beten Christinnen und Christen in jedem Gottesdienst. Mit eigenen Worten würde es jede und jeder wohl anders ausdrücken. Glauben heißt: dass ich mich gehalten weiß und im Leben nie allein bin. Dass ich meinen Wert nicht erkämpfen muss, sondern mich auf Gottes Liebe und Vergebung verlassen darf. Dass ich mich in Not und Freude im Gebet an Gott wenden kann. Dass ich in den Texten und Liedern des Christentums einen Schatz habe, der mir in guten Stunden Freude macht und mir in schweren Stunden Worte leiht. Dass ich eine Gemeinschaft habe, die mit mir betet und singt, in der Bibel und im Leben nach Gottes Spuren sucht. Dass ich in jedem Menschen Gottes Ebenbild sehe und versuche, ihm mit Achtung und Nächstenliebe zu begegnen.

Wer all das für sich sagen kann, möchte das in aller Regel gerne Kindern und Enkeln nahebringen, damit auch sie ihr Leben auf dieses Vertrauen bauen können. Aber wie? Natürlich bieten sich Rituale wie Tisch- oder Abendgebete an; Gespräche über Gott und die Welt am Mittagstisch und der Besuch von Kindergottesdienst, Konfirmandenunterricht, Jugendkreisen oder Musikgruppen. Aber was, wenn die Kinder dazu keine Lust haben oder später als Jugendliche ganz andere Meinungen vertreten? Was können Eltern oder Großeltern dann noch anbieten?

Eine Studie an der Universität Münster möchte diesen Fragen auf die Spur kommen. Ein Forscherteam mit Wissenschaftlern aus Deutschland, Finnland, Italien, Kanada und Ungarn will dafür Familien in den fünf Ländern befragen. „Wir wissen aus Studien, dass es einen Abbruch von religiösen Traditionen gibt, jedenfalls in westlichen Ländern“, sagt die Soziologie-Professorin Christel Gärtner vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster, die das Projekt leitet. Jede Generation sei weniger religiös als die vorangegangene. Das Merkwürdige ist nur: „Niemand konnte bisher so recht erklären, woran das liegt, wie der Abbruch oder die Veränderung geschieht.“

Natürlich gibt es Vermutungen: So gehen die Forscherinnen und Forscher davon aus, dass bei der Weitergabe von Glaubenstraditionen unter anderem der Erziehungsstil eine große Rolle spielt. „Früher war die Erziehung eher autoritär. Eltern und Kirchen haben ihre Werte an die Kinder weitergegeben. Diese übernahmen automatisch auch die Traditionen der religiösen Gemeinschaft, ohne sie zu hinterfragen“, erklärt Gärtner.

Seit den 1970er Jahren habe sich jedoch ein liberalerer Erziehungsstil durchgesetzt, der Kinder eher als Persönlichkeiten akzeptiere und ihnen stärker als zuvor eine eigene Meinung und Mitspracherechte zubillige. Auch die Ausdrucksformen des Glaubens seien individueller geworden. „Wer nur noch selten oder gar nicht mehr zur Kirche geht, kann sich trotzdem als gläubig verstehen“, so Gärtner.

Weiter vermutet die Wissenschaftlerin, dass Eltern weniger Wert darauf legten, ihren Kindern kirchliche Glaubensgrundsätze zu vermitteln, wenn sie selbst eher eine liberale Haltung zum Glauben hätten. Auch die Haltung, dass Kinder später selbst entscheiden sollen, ob und was sie glauben, trage zum Traditionsabbruch bei. „Aber auch für getaufte Kinder sei die Konfirmation heute kein Automatismus mehr; sie könnten vielmehr selbst entscheiden, ob sie sich konfirmieren lassen möchten“, meint Gärtner. Für spätere Bindungen sei eine positiv erlebte Konfirmandenzeit sehr wichtig.

Wenn junge Menschen mit einer eher lockeren Bindung an Glauben und Kirche die Familie verlassen, geht diese Verbindung oft ganz verloren. Auch wer mit nicht- oder andersgläubigen Freundinnen und Freunden oder Ehepartnern zusammenlebt, neigt offenbar dazu, am eigenen Glauben weniger konsequent festzuhalten. „Allerdings gibt es auch immer wieder Berührungspunkte, an denen die Menschen wieder in Kontakt zur Kirche kommen, etwa wenn Eltern sich entscheiden, ihre Kinder in einen kirchlichen Kindergarten zu geben oder gemeinsam mit ihnen den Kindergottesdienst zu besuchen“, so Gärtner. Insgesamt sei die religiöse Erziehung in den Familien zurückgegangen, heute spiele der Religionsunterricht eine wichtige Rolle.

Um genauer sagen zu können, wie Glauben weitergegeben wird und sich verändert, suchen Christel Gärtner und ihre Mitarbeitenden nach Familien, die in wissenschaftlichen Interviews über die Weitergabe des Glaubens erzählen möchten. „Wir suchen im ganzen Bundesgebiet und in allen Schichten“, so Gärtner. „Dabei möchten wir möglichst viele Unterschiede erfassen. Wir sind an evangelischen, katholischen, gemischt konfessionellen und religionslosen Familien interessiert, aber zum Beispiel auch an Familien, die in einem anderen religiösen Umfeld leben, also Evangelische in katholisch geprägten Regionen oder umgekehrt.“ Darüber hinaus möchten die Forscherinnen und Forscher auch Familien befragen, die eine Migrationsgeschichte haben. Soweit es machbar ist, kommen die Forscherinnen und Forscher für das Gespräch zu den Familien. Etwa zwei Stunden dauert so ein Interview, an dem möglichst mindestens jede Generation mit einer Person vertreten sein sollte; gerne dürfen es auch beide Großeltern, Eltern und alle Kinder sein.

Familien, die an Interviews im Rahmen der Studie teilnehmen wollen, können sich unter E-Mail generationen@uni-muenster.de oder Telefon (02 51) 8 32 35 84 melden.