Die von der Ampel-Koalition im Bundestag durchgesetzte Freigabe des Cannabis-Konsums erntet vielfältige Kritik. Ärztepräsident Klaus Reinhardt forderte die Bundesländer auf, das Gesetz im Bundesrat aufzuhalten und den Vermittlungsausschuss anzurufen. Insbesondere die von der CSU geführte bayerische Staatsregierung läuft Sturm gegen die Liberalisierung.
Ärztepräsident Reinhardt sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Samstag), bei den Bundesländern gebe es aufgrund vielfältiger Warnungen von Ärzteschaft, Justiz, Polizei und Pädagogen über die Parteigrenzen hinweg erhebliche Bedenken. Der richtige Ort, um diese Bedenken zu artikulieren, sei der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat: „Hier muss dieses Gesetz frei von parteipolitischen Zwängen noch einmal grundsätzlich überdacht werden“, sagte der Mediziner. Die Länder können das Gesetz über den Bundesrat verzögern, aber nicht verhindern.
Nach einer turbulenten Debatte hatte der Bundestag am Freitag in Berlin die Teilfreigabe von Cannabis für Erwachsene beschlossen. Das Gesetz sieht vor, dass vom 1. April an Personen ab 18 Jahren bis zu 50 Gramm Cannabis zum eigenen Verbrauch besitzen dürfen. Der private Anbau von bis zu drei Pflanzen wird erlaubt. Von Juli dieses Jahres an soll der gemeinschaftliche Anbau in Cannabis-Clubs ermöglicht werden, aus dem die Mitglieder begrenzte Mengen beziehen dürfen.
Für die Clubs und den öffentlichen Konsum gibt es zahlreiche Regeln. Die Innenminister der Bundesländer halten sie für nicht praktikabel.
Ärztepräsident Reinhardt sagte: „Das Cannabisgesetz ist ein kleinteiliger, politischer Formelkompromiss, der die selbst gesetzten Ziele eklatant verfehlt.“ Jugendliche würden nicht geschützt, sondern großen Risiken ausgesetzt. Justiz und Polizei würden nicht entlastet, sondern gravierend überlastet.
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sagte der „Augsburger Allgemeinen“ (Samstag), die Bundesregierung belaste die Justiz unnötig, statt sie zu entlasten. Insbesondere kritisierte er die geplante rückwirkende Amnestie. „Das Gesetz bedeutet konkret: Gefangene, die unter die neuen zulässigen Höchstmengen für Cannabis fallen, müssen umgehend entlassen werden“, sagte Eisenreich. Die Vollstreckung noch nicht bezahlter Geldstrafen sei umgehend einzustellen. „Dazu müssen unsere Staatsanwaltschaften Akte für Akte per Hand überprüfen“, sagte Eisenreich.
Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) hatte bereits vor der Bundestagsentscheidung angekündigt, dass der Freistaat Möglichkeiten einer Klage prüfen wolle. Am Freitag erklärt sie außerdem, die Ampel-Koalition allein trage die Verantwortung, wenn der Cannabis-Konsum künftig steige, sich mehr Menschen Suchtrisiken aussetzten und ihre psychische Gesundheit gefährdeten, der Verkehr unsicherer werde und Polizei und Justiz zusätzlich belastet würden.
Die Fachärzte für Psychotherapie und Psychiatrie bekräftigten ihre Kritik, die im Gesetz vorgesehene Altersgrenze von 18 Jahren sei zu niedrig. In diesem Alter sei die Hirnentwicklung noch nicht abgeschlossen, regelmäßiger Cannabis-Konsum könne zu großen Schäden führen, erklärte die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde.