Predigttext
33 Welch’ unermesslicher Reichtum Gottes, welch’ tiefe Weisheit und unerschöpfliche Erkenntnis! Unergründlich die göttlichen Entscheidungen, unerforschlich die göttlichen Wege. 34 Denn wer hat je die Gedanken der Lebendigen erfasst? Wer hat ihr einen Rat gegeben? 35 Wer hat ihr jemals etwas gegeben, das zurückerstattet werden müsste? 36 Alles hat seinen Ursprung in Gott, alles existiert durch ihn und auf ihn hin. Ehre sei Gott durch Zeiten und Welten. Amen.
An die Bibel in gerechter Sprache angelehnte eigene Übersetzung
Was wird mit denen, die Jesus nicht als Messias anerkennen? Diese Frage bewegt Paulus sehr. Warum verschließen sie sich der guten Botschaft vom Kommen der anbrechenden Welt Gottes? Er ist zutiefst betrübt und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass auch seine jüdischen Geschwister, die das Evangelium nicht annehmen, gerettet werden. Und zugleich warnt er die nichtjüdischen Christusnachfolgenden eindringlich davor, sich ihnen gegenüber überheblich zu verhalten.
Dafür wählt er das Bild des Ölbaums und erinnert sie daran, dass sie lediglich als „wilde Zweige“ eingepfropft worden seien und Gott das jederzeit wieder rückgängig machen könne (Römer 11,17-24). Gottes Treue zu Israel ist unverbrüchlich, der mit dem Volk geschlossene Bund unwiderruflich, das steht für ihn fest. „Ganz Israel wird gerettet werden“ (Römer 11,26). Sie bleiben Gottes Geliebte, auch wenn sie sich seinen Worten verschließen.
Wir sind Beschenkte
Paulus bringt das zur Verzweiflung, weil er alles gibt, sie mit den besten Argumenten und Verheißungen aus der Schrift zu überzeugen – doch oft vergeblich. Aber anstatt immer weiter zu drängen, bricht er die Argumentation ab und wechselt den Ton: „Welch’ unermesslicher Reichtum Gottes, welch’ tiefe Weisheit und unerschöpfliche Erkenntnis!“ (Römer 11,33)
Paulus‘ Worte sind ein staunendes Lob über die Fülle des Lebens. Wir sind Beschenkte, wir erfahren die Weisheit der göttlichen Entscheidungen und Weisungen. Warum wollen wir klüger sein als Gott? „Wer hat je die Gedanken der Lebendigen erfasst? Wer hat ihr je einen Rat gegeben?“ (Vers 34) Niemand. Alles existiert durch das göttliche Wort, aus ihm kommt alles Leben und ist auf Gott hin ausgerichtet. Das gilt bis ans Ende aller Zeiten. Amen.
Manchmal bin ich erstaunt, wie besonnen Paulus agiert. Wenn es trotz aller Anstrengung keine Lösung gibt, dann ist es hilfreich, sich der eigenen Grenzen bewusst zu werden und einen Moment innezuhalten. Die Vergeblichkeit seiner Überzeugungsversuche führt ihn nicht in die Resignation, sondern dazu, die letzte Entscheidung Gott zu überlassen.
Menschen sind Gottes Geschöpfe und leben aus ihrer Kraft und Zuwendung. Dankbarkeit für das geschenkte Leben verbindet die, die auf den Gott Israels vertrauen. In das Gotteslob können sie gemeinsam einstimmen, ob sie nun in Jesus den verheißenen Messias sehen oder nicht. Ich habe das Gefühl, dass Paulus fast ein bisschen erleichtert ist, die Verantwortung abgeben zu können und nicht im Namen Gottes die Konfrontation zu suchen. Freude und Dankbarkeit öffnen das Herz auch für die Fragen und Nöte der Menschen, die die eigene Position nicht teilen.
Mahnung gegen jede Überheblichkeit
Die mahnenden Worte des Paulus richten sich an die eigenen Leute und wenden sich gegen jegliche Überheblichkeit denjenigen gegenüber, die einen anderen Weg gehen – wie er weiß, oft auch mit guten Argumenten und Begründungen. Er betrachtet sie aus der Perspektive der liebenden Augen Gottes.
Diese Haltung wünsche ich mir in aktuellen Konflikten. Auch wenn die Situation eine andere ist als die des Paulus und vieles nicht übertragbar, so habe ich doch den Umgang mit unterschiedlichen Positionen im Blick auf die Corona-Pandemie vor Augen. Sie hat tiefe Gräben in Familien und zwischen Freundinnen und Freunden hinterlassen.
Wie kommen wir heraus aus der Unversöhnlichkeit auf beiden Seiten? Paulus‘ Gotteslob in einer Situation, in der alle Argumente ausgetauscht sind und die Wiederholung nur zu weiteren Verletzungen führen würde, verstehe ich auch als eine Übung in Bescheidenheit und Demut. „Welch’ unermesslicher Reichtum Gottes, welch’ tiefe Weisheit und unerschöpfliche Erkenntnis!“
Wir müssen nicht alles verstehen und dürfen uns auch irren. Und auch wenn wir ganz sicher sind, recht zu haben, dürfen wir innehalten und die letzte Entscheidung an Gott abgeben. Menschliche Einsichtsfähigkeit ist begrenzt. Ich habe den Wunsch, zu der Vertrautheit zurückkehren zu können, die uns vor der Pandemie verbunden hat. Mit Paulus setze ich darauf, dass uns die Dankbarkeit, am Leben zu sein, verbindet.