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Weihnachts-“Tatort” über ein Familiendrama

Im “Tatort: Kontrollverlust” spielt Jeanette Hain eine Frau, die ihren Sohn an der eigenen Entwicklung hindert. Als er in Mordverdacht gerät, beginnt ein Katz- und Mausspiel mit den Frankfurter Ermittlern.

Überall in der Wohnung von Annette Baer (Jeanette Hain) liegen kleine Skulpturen – auf dem Boden, in den Regalen, auf Tischen und Stühlen. Wenige Tage vor der Eröffnung einer Ausstellung der Bildhauerin müssen sie von der Wohnung, in der sich auch ihr Atelier befindet, in die Galerie gebracht werden. Als sie von einer Transporttour erschöpft nach Hause kommt, steht ihr erwachsener Sohn Lucas (Bela Gabor Lenz) mit bluttriefendem T-Shirt und Blut an den Händen im Bad. Baer ahnt, dass etwas Schreckliches vorgefallen sein muss. Seine Freundin Cara Mauersberger (Viktoria Schreiber) ist tot. Lucas beteuert, dass er sie nicht umgebracht hat.

Baer gerät in Panik und verfällt in ihr übliches Handlungsmuster. Sie entscheidet für Luca und für sich selbst – und will die Verwicklung von Luca in den Mord vertuschen. Trotzdem gerät er bald in den Kreis von Zeugen und Verdächtigen, die von den Frankfurter Kommissaren Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) intensiv befragt werden. Der “Tatort: Kontrollverlust” wurde von Elke Hauck inszeniert, die zusammen mit Sven Poser das Drehbuch schrieb. Das Erste strahlt den Krimi am Zweiten Weihnachtsfeiertag, am 26. Dezember um 20.15 Uhr aus.

Bei ihrem 18. Einsatz in der Bankenmetropole vermuten Janneke und Brix auf Grund der Verletzungen, die der Täter der jungen Frau mit dem Messer zugefügt hat, eine impulsive Beziehungstat. Daher klopfen sie das private Umfeld der Studentin ab, die aus dem Osten Deutschlands an die Frankfurter Uni kam. Um die Miete zu zahlen, jobbte sie in einem Copy-Shop und verbrachte ihre Nächte als Gamerin vor dem Computer.

Im Netz hat sie eine große Fan-Gemeinde, die ihre Live-Kommentare von Spielen verfolgte. Dabei vertrat sie stets feministische Positionen, was ihr etliche Hasskommentare einbrachte. Die Identität eines jungen Mannes, der die gehässigen Bemerkungen mit handfesten Drohungen verband und Mauersbergers Adresse veröffentlichte, kann das Polizistenduo schnell ermitteln. Doch dann ereignet sich ein weiterer Mord in Mauersbergers Umfeld.

Der Weihnachts-“Tatort” beginnt mit einer heftigen Szene, läuft dann aber in routinierten Bahnen. Geduldig setzten Janneke und Brix die einzelnen Details ihrer Ermittlungen zusammen, um den Mord aufzuklären. Parallel folgt der Film der Entwicklung in der Familie Baer. Zuschauerinnen und Zuschauer können von Anfang an abwägen – und selbst entscheiden, ob Lucas den Mord begangen haben könnte.

Bald ist klar: Bei den Baers ist einiges gewaltig schiefgelaufen und tut es noch. Lucas ist ein Wunschkind, das die Mutter alleine erzogen hat – und das sie nun nicht loslassen kann. Beide leiden unter ihrem Kontrollwahn, doch der junge Mann hat nicht die Kraft, sich aus der Umklammerung zu lösen. Die gegenseitige Abhängigkeit wird verstärkt, weil er eine künstlerische Laufbahn im gleichen Metier anstrebt. Aber auch da lässt ihm die Mutter kaum Raum für die eigene Entfaltung. Der Grund für ihr Verhalten wird im Laufe des Films entschlüsselt. Jeanette Hain lotet die seelischen Abgründe Baers in dieser Mischung aus Familiendrama und Krimi brillant aus.