Unter jungen Menschen soll nach dem Willen der Regierung verstärkt für die Bundeswehr geworben werden. Ab 2027 kommt dann die verpflichtende Musterung für junge Männer. Was halten die eigentlich von alledem?
Es könnte jetzt alles sehr schnell gehen. Am Freitag hat der Bundestag das “Wehrdienst-Modernisierungsgesetz” beschlossen. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich ein nach zähem Ringen zwischen der Regierungskoalition aus SPD und Union ausgehandelter Kompromiss. Demnach sollen ab Jahresbeginn zunächst alle jungen Menschen ab 18 Jahren zu Eignung und Motivation für einen Wehrdienst befragt werden; für junge Männer soll die Beantwortung verpflichtend sein. Ab 2027 sollen dann sukzessive junge Männer ab dem Jahrgang 2008 verpflichtend gemustert werden.
Das Dienstmodell basiert zunächst weiter auf Freiwilligkeit. Reicht das nicht aus, wird allerdings darüber nachgedacht, ein neues Gesetzgebungsverfahren anzustoßen, um die Wehrpflicht wieder einzuführen. Betroffen von alledem sind Tausende junger Menschen wie Philipp Geisler. Der 15-jährige ist Schüler am Gymnasium Maria Königin in Lennestadt im Sauerland. Dass bald alle 18-jährigen jungen Männer gemustert werden sollen, mache ihm Angst, sagt er. Die Bilder des Krieges, mit dem Russland die Ukraine überzogen hat, werden dazu beitragen.
Gleichzeitig nehmen die Investitionen in Rüstung und Militär in Deutschland massiv zu. Am Mittwoch stellte die Bundeswehr angesichts der russischen Bedrohung die erste Stufe ihres Abwehrsystems “Arrow 3” gegen hochfliegende Raketen scharf. Kostenpunkt laut Medienberichten: 3,6 Milliarden Euro. Aber Philipp geht es nicht nur um Bilder vom Krieg oder um Schulden, die, sprachlich getarnt als “Sondervermögen, der nachfolgenden Generation aufgebürdet werden. “Vor allem finde ich, dass Jugendliche zu wenig in diese Diskussion einbezogen wurden”, sagt er.
Was hält er von dem Argument, dass die junge Generation in einem sehr wohlhabenden Land aufwächst und mit einem Wehrdienst diesem Land etwas zurückgeben kann? Philipp denkt kurz nach und verweist dann auf die Corona-Pandemie. Ausgangssperren und Schulschließungen hätten vor allem den Jüngeren viel abverlangt. Als Erwachsene müssten die Teenager von heute zudem das ausbaden, was jetzt versäumt werde, zum Beispiel wirksame Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel. “Deshalb würde ich nicht sagen, dass unsere Generation unserem Land unbedingt etwas zurückgeben muss”, lautet sein Fazit.
Ähnlich sieht es Thilo Trosien. Der 16-Jährige besucht die Stadtteilschule Bergedorf in Hamburg. Die Regierung erwarte Einsatz von den Jüngeren. “Aber dann soll sie auch etwas Vernünftiges für uns tun.” Was er stattdessen sehe: Immer weniger Geld für Bildung. Dafür dürfte auch Älteren ein Blick auf die maroden Schulgebäude der Republik reichen – oder auf eine Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft unlängst veröffentlichte. Demnach wurden 2023 in Deutschland 9,3 Prozent der gesamten öffentlichen Ausgaben in Bildung investiert. Österreich und die Schweiz liegen fast 50 Prozent darüber.
Die Politik scheint sich stattdessen eher um die Belange der Älteren zu sorgen. Zufall oder nicht: Am gleichen Tag, an dem der Bundestag über die Wehrpflicht debattierte, stand auch das Rentenpaket der Regierung zur Abstimmung. Die Junge Gruppe in der Union hatte daran im Vorfeld deutliche Kritik geübt. Laut Medienberichten wuchs in der Folge der Druck auf die Abgeordneten, dem Paket zuzustimmen. Auch das nehmen junge Menschen wahr.
Natürlich steht zugleich die Frage im Raum, wer denn im Ernstfall das Land verteidigen soll. Eine Wehrpflicht würde das Problem nicht lösen, meint Thilo. Heute würden keine Grabenkriege mehr wie vor 100 Jahren ausgefochten. Der Krieg finde im Internet statt – oder am Himmel über Drohnen. “Da können Azubis nichts ausrichten, die gerade so gelernt haben, ein Gewehr richtig herum zu halten”, sagt der Schüler. “Das, was im Kriegsfall wirklich benötigt wird, sind IT-Techniker, die die Drohnen dann irgendwie vom Himmel bekommen.”
Philipp Geisler und Thilo Trosien engagieren sich bei Greenpeace. Die Verbindung von Umwelt- und Friedensfragen sei aktueller denn je, sagt eine Sprecherin der Organisation. Allein eine eventuell verpflichtende Rekrutierung hunderttausender junger Männer sei mit Ausgaben im Milliardenbereich verbunden, “die im Bereich Klima- und Artenschutz fehlen werden, ohne dass eine Wehrpflicht die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands kurzfristig anheben würde”.
Das mögen andere anders sehen. Aber in der politischen Debatte nimmt der Umwelt- und Klimaschutz in der Tat einen deutlich geringeren Umfang ein als noch unter der Vorgängerregierung. Letzte Frage an Philipp und Thilo: Was macht ihr, wenn tatsächlich die Wehrpflicht wiederkommt? “Ich werde auf jeden Fall verweigern”, sagt Thilo. Er fühle sich nicht bereit, “eine Waffe in die Hand zu nehmen”. Philipp würde das Gleiche tun, weil er, wie er sagt, nicht bereit ist, für sein Land zu sterben. “Und es gibt ja auch Alternativen wie den Zivildienst, wo man sich einsetzen kann.”