Von sexuellen Anspielungen bis zu schrillem Pfeifen: Das sogenannte Catcalling betrifft in Deutschland viele Frauen, ist aber kein Straftatbestand. Das will die SPD jetzt ändern. Eine Einordnung.
Obszöne Gesten, anzügliche Bemerkungen oder Hinterherpfeifen – besonders Frauen werden im Alltag mit sogenanntem Catcalling konfrontiert. Noch müssen Täter nur geringe Konsequenzen fürchten, doch jetzt hat Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) Strafen für verbale sexuelle Belästigungen in Aussicht gestellt. Ein neuer Straftatbestand sei aus ihrer Sicht durchaus denkbar, sagte sie Anfang der Woche. Fragen zu “Catcalling”, der aktuellen Rechtslage und zu Hilfsmöglichkeiten für Betroffene beantwortet die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA).
Unter “Catcalling” versteht man eine sexuelle Belästigung ohne Körperkontakt. Die Bandbreite der Formen der Belästigung ist groß: Neben Hinterherpfeifen und anzüglichen Bemerkungen kann Catcalling auch aufdringliche Blicke, Anhupen, Hinterherlaufen, ungewolltes Filmen und Fotografieren sowie das ungewollte Zusenden von sexuellen Inhalten umfassen.
Der Begriff stammt aus der englischen Umgangssprache und bedeutet wörtlich “Katzen-Rufen”. Ein möglicher historischer Ursprung kommt aus dem 17. Jahrhundert: Damalige Theaterbesucher drückten ihren Unmut über schlechte Vorstellungen durch “catcallen” – laute Pfiffe – aus. Für Kritiker ist der Begriff “Catcalling”, wie er heute genutzt wird, unpräzise und verharmlosend. “Sexuelle Belästigung muss beim Namen genannt werden”, so Justizministerin Hubig. Außerdem habe der Begriff selbst einen sexistischen Unterton.
Bislang stellt dieses Verhalten keinen Straftatbestand dar. Zudem kann in Deutschland sexuelle Belästigung nur geahndet werden, wenn ein Körperkontakt vorliegt, erklärt Rechtsanwalt Philipp Hillingmeier in Berlin auf Anfrage. Ein Großteil der unter “Catcalling” fallenden Äußerungen seien nach aktueller Rechtslage nicht strafbar. Allerdings kann “Catcalling” je nach Form und Ausmaß unter Beleidigung oder Nachstellung fallen. Wird es beispielsweise als Beleidigung gewertet, reicht das Strafmaß von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren. In anderen Ländern ist “Catcalling” bereits strafbar, in den Niederlanden beispielsweise seit vergangenem Jahr. Dort fallen anzügliche Sprüche unter “sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit”.
Die SPD will “Catcalling” unter Strafe stellen, Hubig prüft rechtliche Möglichkeiten für eine Gesetzesänderung. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede kann sich künftige Geldstrafen als Konsequenz vorstellen. Die Union hingegen lehnt einen neuen Straftatbestand ab und vermutet, dass er sich in der Praxis auch nur schwer durchsetzen lasse.
Rechtsanwalt Hillingmeier zeigt sich skeptisch: “Bloße Respektlosigkeiten unter Strafe zu stellen, würde sehr wahrscheinlich gegen das Übermaßverbot verstoßen und könnte vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden.” Zudem stehe für erhebliche, herabwürdigende Aussagen der Tatbestand der Beleidigung zur Verfügung – dieser müsse nur “konsequent angewendet werden”. Das Strafrecht als “repressives Mittel des Gesetzgebers” sei nicht dazu geeignet, das eigentliche Problem nachhaltig anzugehen. Vielmehr hätten präventive Aufklärung und Vermeidung durch soziale Ächtung eines solchen Verhaltens mehr Aussicht auf Erfolg.
Opfer von “Catcalling” sollten in der konkreten Situation in erster Linie Öffentlichkeit herstellen, sagt die Sonderbeauftragte für Gewalt gegen Frauen des Deutschen Frauenrats, Sylvia Haller, der KNA. “Frauen sollten umstehende Personen ansprechen: ‘Haben Sie das mitbekommen? Das ging mir zu weit, das war übergriffig.’ Dann passiert oft schon viel bei demjenigen, der ein solches Verhalten an den Tag legt.” Zudem rät Haller, sich den Vorfall zu notieren und vor Ort Zeugen zu suchen. Das sei für eine juristische Prüfung wichtig.
Haller betont, dass es grundsätzlich einer guten Präventionsarbeit bedarf: “Es geht um die Vermittlung eines respektvollen Umgangs miteinander und um das Aufbrechen von stereotypischen Geschlechterrollen.” Schon in der Schule müsse über Sexismus und Objektivierungen von Frauen aufgeklärt werden. So wenig, wie tatsächliches Flirten “Catcalling” sei, so wenig seien Ausreden wie “Warum fühlst du dich angesprochen?” oder “Das war doch nur Spaß” bei “Catcalling” akzeptabel.