Artikel teilen:

Was haben wir im Kopf?

Schau der Bundeskunsthalle über das Gehirn in Kunst und Forschung

Bonn (epd). Wer das Gehirn verstehen will, stößt schnell an natürliche Grenzen. «Die Problematik ist, dass man versucht, mit dem Hirn andere Hirne zu verstehen», sagt der Berliner Hirnforscher John-Dylan Haynes, Co-Kurator der Ausstellung «Das Gehirn. In Kunst & Wissenschaft» in der Bundeskunsthalle in Bonn. So ist es nicht
verwunderlich, dass sich die Menschen seit Tausenden von Jahren das Hirn über den Inhalt unseres Schädels zermartern, aber trotz heute modernster Technik vieles ungeklärt ist. Die Schau in der Bundeskunsthalle kreist das Organ in unserem Kopf deshalb aus unterschiedlichen Perspektiven ein.

   Neben der Hirnforschung und Neurologie beleuchtet die interdisziplinäre Schau auch die Beschäftigung von Philosophie, Religion, Psychologie und Kunst mit dem Thema. Zu sehen sind bis zum 26. Juni rund 330 Werke und Exponate aus Kunst, Kulturgeschichte und Wissenschaft. Darunter sind berühmte Objekte der Wissenschaftsgeschichte wie Rene Descartes Scha del oder Korbinian Brodmanns Zeichnungen zur Kartierung des Gehirns. Darüber hinaus präsentiert die Schau Werke bekannter Künstlerinnen und Künstler, darunter Arbeiten von Willi Baumeister, Max Ernst, Isa Genzken und Wilhelm Lehmbruck.

   Der Dialog von Kunst und Wissenschaft erweise sich als fruchtbar, sagt Haynes, der an der Berliner Charité forscht. «Die Auseinandersetzung mit der Kunst hat mich auf andere Art und Weise über das Gehirn nachdenken lassen.» Die Ausstellung begibt sich anhand von fünf Fragen auf eine Zeitreise durch die Kulturgeschichte und wissenschaftliche Erforschung des Gehirns.

   Ausgangspunkt ist die Frage: «Was habe ich im Kopf?» Es war ein weiter Weg von den ersten Beschreibungen des Gehirns im alten Ägypten bis zu modernen bildgebenden Verfahren. So galt das Gehirn bei Aristoteles lediglich als Organ für die Kühlung des Blutkreislaufs. Zentrum des Fühlens war in der Antike das Herz. Die Medizin näherte sich dem Organ über die Jahrhunderte an, etwa über Wachsmodelle, wie sie Friedrich Ziegler Ende des 19. Jahrhunderts anfertigte, um die Entwicklung des Gehirns beim Embryo darzustellen. Heute lässt sich mit modernster Technik in Sekunden ins Innere des Gehirns reisen. Die Filmprojektion des Human Brain Project am Forschungszentrum Jülich zeigt winzige Neurotransmitter bei der Denkarbeit.

   Was in der wissenschaftlichen Darstellung als abstrakter Vorgang erscheint, wird in der Skulptur von Yaron Steinberg greifbar. «The Brain City Project» (2011) besteht aus unzähligen kleinen Schachteln, die einen meterhohen, hohlen Schädel formen: Eine beleuchtete Stadt, durch die eine Modelleisenbahn als «Botenstoff» von Haus zu Haus fährt.

   Doch was geht wirklich vor in diesen Windungen in unserem Kopf? Der Vorgang des Denkens faszinierte Künstler seit jeher. Vor allem seit dem 19. Jahrhundert finden sich Darstellungen denkender Männer und Frauen. Jean-Baptiste Camille Corots «Sinnendes Mädchen» etwa schaut Mitte des 19. Jahrhunderts mit nach innen gekehrtem Blick in die Landschaft.

   Die Forschung suchte nach eigenen Antworten. Der Neurologe Hans Berger zeichnete 1924 die ersten Hirnströme mittels Elektroenzephalografie (EEG) auf. Heute bietet die Magnet-Resonanz-Tomografie detaillierte Einblicke in die Hirntätigkeit. Dennoch blieben «viele weiße Flecken in der Landkarte des Verständnisses unseres Gehirns», sagt Haynes. Michael Sailstorfer bringt das mit seiner Skulptur «Brain K2» (2021) auf den Punkt. Sie besteht aus einem in sich gedrehten Seil, das zu einem hirnförmigen Ballen verschlungen ist: Ein Knoten im Gehirn.

   Philosophisch wird es bei der Frage, ob Körper und Geist ein und dasselbe sind. Bis in die 1990er Jahre sei die Forschung davon ausgegangen, dass Körper und Geist getrennt seien, erklärt Haynes. Erst durch moderne bildgebende Verfahren sei deutlich geworden, dass das Gehirn «Trägersubstanz unseres Erlebens» ist. Ungeklärt bleibt jedoch, was das Ich und die Persönlichkeit letztlich ausmacht. Und
was spielt sich bei psychischen Bewusstseinsveränderungen ab? Künstler wie Erich Heckel, Ernst Barlach oder Max Ernst versuchten, geheimnisvolle Vorgänge wie Schlaf, Traum und psychische Ausnahmezustände malerisch darzustellen.

   Die Ausstellung fragt abschließend, wie wir über die Informationen unserer Sinnesorgane die Welt wahrnehmen. Und wie lässt sich diese Wahrnehmung durch unser Gehirn verbessern? Bereits jetzt werden zum Beispiel an Parkinson erkrankte Menschen durch Hirnstimulation therapiert. Ein Blick in die Zukunft fragt: Sind wir auch bereit, gesunde Gehirne zu optimieren?