„Natürlich ist der Wahltag ein Feiertag für mich“, sagt die Wahlhelferin, ohne zu zögern. Kein Arbeitstag, obwohl sie viele Stunden dafür opfert, damt die Stimmabgabe ordnungsgemäß abläuft. Stattdessen ist der Wahlsonntag ihr Feiertag, „ein Feiertag für die Demokratie“.
Ein Feiertag, den sie in ihrer Kindheit mit dem „Sonntagsanzug“ ihrer Eltern verbindet. Erst ging es in die Kirche, dann zum Wahllokal. Mittlerweile ist die Wahlhelferin aus der katholischen Kirche ausgetreten. Das Feiertagsgefühl ist geblieben.
Wahlen am Sonntag: Menschen haben Zeit
Die Weimarer Reichsverfassung legte 1919 fest, dass die Parlamentswahlen auf einen Sonn- oder Feiertag fallen sollten. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht das nicht. Wohl aber im Bundeswahlgesetz, Paragraf 22 legt fest: „Der Wahltag ist ein Sonntag.“
Die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union wählen an einem Sonn- oder Feiertag. Ausnahmen sind Italien, hier öffnen Wahllokale am Sonntag und Montag. Oder die Niederlande. Hier wird mittwochs gewählt. Andere, wie Lettland, wählen am Samstag.
Am Sonntag haben Menschen Zeit. Zeit, um zu wählen. Doch dass sie überhaupt Zeit haben, musste in der deutschen Geschichte erstritten werden. Die Arbeiterbewegung und die Kirchen setzten sich dafür ein, dass in der Weimarer Reichsverfassung der Sonntag zum Ruhetag erklärt wurde. Ein Tag, der der „Herstellung der öffentlichen Ruhe zum Zwecke der Erholung und der ‚seelischen Erhebung‘“ dienen sollte.
Der Wahlsonntag bietet Zeit für die heilsame Unterbrechung
Der Ruhetag ist in der jüdisch-christlichen Tradition fest verankert. Am siebten Tag ruhte Gott von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Er segnete ihn und heiligte ihn, erzählt die biblische Schöpfungsgeschichte. Der jüdische Schabbat ist deswegen ein Ruhetag.
Nach wie vor ist der Sonntag ein Tag zum Feiern und zur Unterbrechung. Daran erinnert das Läuten der Kirchturmglocken. Was geschah während der Woche? Was liegt mir auf dem Herzen? All das prägt die Gebete im Gottesdienst, die laut gesprochenen wie die stummen. Es sind Fragen, die auch beim Kaffeetrinken und auf Parkbänken, in Telefonaten und Video-Calls besprochen werden. Denn am Sonntag haben Menschen Zeit füreinander.