Er war ein Turnierheld, Verkörperung des Ritterideals. Buchstäblich blind ritt Johann von Böhmen 1346 in die Eröffnungsschlacht des Hundertjährigen Krieges. Nun besucht der Papst sein Grab – des Königs zehnte Ruhestätte.
Na klar – mittelalterliche Könige erlebten andauernd abenteuerliche Geschichten. Aber was Johann der Blinde (1296-1346), König von Böhmen, Graf von Luxemburg, Kandidat für die Kronen von Polen und Ungarn mit Ambitionen auch auf die Lombardei, so über die Jahrhunderte hingelegt hat, ist schon außergewöhnlich. Fast wäre seine glanzvolle europäische Karriere auf dem Dachboden eines Steingutfabrikanten im Saarland geendet. Doch dann hielt das Schicksal für ihn noch ein paar weitere Volten bereit. Am Donnerstag (26. September) wird Papst Franziskus an seinem Grab stehen.
Johann von Böhmen war ständig in europäischen Herrschaftsdingen unterwegs und ein Turnierheld. Lange genoss “Jan Lucembursky” in der tschechischen Geschichtsschreibung einen eher schlechten Ruf und den Beinamen “König Fremdling”. Dabei legte er auf seinen Aventüren mächtige Grundsteine für die Herrschaftsbasis seines Hauses, der Luxemburger – und seines Sohnes, Kaiser Karls IV. (1316/46-1378).
Aber: Sohn Karl, nur 20 Jahre jünger, scharrte bereits mit den Hufen. Zudem war Johann mit einer erblichen Augenkrankheit geschlagen, durch die er 1340 erblindete. War es der klare Blick auf das Scheitern seiner politischen Pläne, der ihn am 26. August 1346 blind und schutzlos in die Schlacht von Crecy reiten ließ, die den Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich eröffnete?
Johann fiel mit gerade 50 Jahren, seinem Bündnis mit Frankreich treu, während Sohn Karl das Schlachtfeld vorzeitig verließ. Laut Legende trat nachher der junge Edward, Prince of Wales, an den Leichnam und sagte anerkennend: “Hier liegt der Fürst des Ritterstandes – doch sterben wird er nicht.” Johanns deutschsprachiger Wappenspruch “Ich dien…” ist heute der der britischen Thronfolger, mithin der Prinzen von Wales.
Doch für den toten König begannen dann posthum neue Irrfahrten durch Europa. In der luxemburgischen Benediktinerabtei Altmünster beigesetzt, gelangten seine Gebeine nach der Zerstörung des Klosters 1543 über Umwege ins Neumünster – und dann, im allgemeinen Chaos des Ansturms französischer Revolutionstruppen 1796, über eine benachbarte Backstube in die Hände des Industriellen Pierre-Joseph Boch, der den Mönchen versprochen haben soll, darauf aufzupassen.
Sohn Jean-Francois Boch (1782-1858) kaufte 1809 die aufgehobene Abtei Sankt Peter in Mettlach an der Saar und machte aus dem Barockkomplex eine moderne Geschirr- und Steingut-Fabrik. 1836 gründete er mit dem bisherigen Konkurrenten Nicolas Villeroy aus Wallerfangen bei Saarlouis das Unternehmen Villeroy & Boch.
Bei einer Visitation der Preußischen Rheinprovinz durch Kronprinz Friedrich Wilhelm 1833 soll der Industrielle den preußischen Prinzen mit der Aussage überrascht haben, nun beherberge er gleich zwei gekrönte Häupter unter seinem Dach. Boch zeigte Friedrich Wilhelm die Überreste seines “königlichen Vetters” auf dem Dachboden; entsetzt soll der Thronfolger ausgerufen haben: “Der arme König!” Als Verwandter 17. Grades und angehender Landesherr erbat und erhielt er schließlich die Gebeine.
Hofarchitekt Karl Friedrich Schinkel erbaute auf Geheiß des Kronprinzen 1838 in Kastel oberhalb der Saar eine stattliche neoromanische Kapelle, wo Johann neu beigesetzt wurde. Fabrikant Boch freilich bekam reichlich Schimpf von den Luxemburgern – hatte er doch weggegeben, was ihm gar nicht gehörte und was er hätte verwahren sollen.
Für König Johann war nun über 100 Jahre Ruhe, zumindest die vorletzte – bis die Luxemburger, Siegermacht des Zweiten Weltkriegs, erneut auf den Plan traten. Bevor noch die Tschechoslowakei ihren Anspruch auf den Böhmenkönig gegen die Rechtsnachfolger Preußens durchsetzen konnte, wurde der Volksheld am 25. August 1946 mit militärischem Staatsakt nach Luxemburg überführt.
Begeistert wurde “de blanne Jang” (der blinde Johann) von Bevölkerung, Klerus und abgeordneten Schulklassen “in der Heimat” empfangen; alle Kirchenglocken läuteten. Am 26. August, seinem 600. Todestag, wurde er in der Kathedrale ein weiteres Mal beigesetzt, in seiner zehnten Grabstätte. “Dem Jang de Blannen seng Odyssee” war damit nach sechs Jahrhunderten zu Ende.