Im bayerischen Viechtach wird das Christkind 2024 von einem Jungen dargestellt. Das sorgt für Aufsehen. Aber ist das Christkind nicht immer männlich? Ein Experte gibt Antworten – und räumt mit einem populären Irrtum auf.
“Ich war voll aufgeregt”, sagt Christkind Hannes Peschl. Anfang Dezember hat der Neunjährige den Christkindlmarkt im niederbayerischen Viechtach eröffnet. Als erster Junge im Ort – denn normalerweise wird auch in Viechtach wie fast überall das Christkind von Mädchen dargestellt. “Aber die waren schüchtern und hatten keine Lust”, erzählt Hannes. “Aber ich schon.” Eine Woche lang habe er seinen Prolog auswendig gelernt – und dann verkleidet vorgetragen. “Mein Kostüm war wirklich schön”, meint er. Eine weiße Kutte, ein goldener Umhang und ein Kranz auf dem Kopf.
Dass es überregional für Aufsehen sorgen würde, wenn das Christkind von einem Jungen verkörpert wird – daran haben weder Hannes noch seine Mutter Christiane Bielmeier noch Schulleiterin Birgit Heigl-Venus gedacht, die Hannes für die Rolle vorgeschlagen hat. “Das Christkind ist ein Kind”, betont Heigl-Venus. “Es muss in erster Linie ein mutiges Kind sein, das auf die Bühne geht und sich traut, vor Leuten zu sprechen.” Erst im Nachhinein sei ihr bewusst geworden, welche Wellen das Thema schlägt.
Tatsächlich wird das Christkind meistens von Mädchen dargestellt. Etwa in Nürnberg, wo es schon seit Langem jedes Jahr den Weihnachtsmarkt vom Balkon der Frauenkirche aus eröffnet.
Aber wäre es nicht eigentlich richtiger, wenn das Christkind von Jungen dargestellt würde? Schließlich war das “ursprüngliche” Christkind, also Jesus Christus, ebenfalls männlich. Laut dem Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti hat es historische Gründe, dass das Christkind meistens als weiblich dargestellt wird.
Schon im Hochmittelalter habe diese Figur existiert: “Das Christkind scheint den Weihnachtsumzügen zu entstammen, wo eine Schar von Engeln von einem verschleierten Christkind angeführt wurde”, so der Experte. Das Christkind sei dann vor allem im Elsass und in Süddeutschland zum Geschenkebringer geworden – so sei auch Martin Luther auf die Figur gestoßen. Sie gehe aber nicht, wie oft behauptet wird, auf ihn zurück.
Das Christkind ist also nicht mit dem Jesuskind gleichzusetzen. “Beide stellen zwar die gleiche Person dar, haben aber eine andere Geschichte und eine andere Verwendung”, so Becker-Huberti. Dass das Christkind traditionell eher von Mädchen dargestellt wird, könnte ihm zufolge aber auch noch an etwas anderem liegen: “Ich kann mir vorstellen, dass man Mädchen gewählt hat, um das Christkind von seinem Konkurrenten, dem Nikolaus abzusetzen”, sagt der Experte. Schließlich habe auch der lange als Geschenkebringer gegolten.
Auch das Christkind, das in Städten wie Nürnberg erscheine, gehe wahrscheinlich auf die Weihnachtsumzüge zurück. “Es sieht sehr weiblich aus, weil es was von einem Engel hat”, so Becker-Huberti. Im Prinzip sei das Christkind aber geschlechtslos: “Natürlich kann es auch von einem Jungen dargestellt werden. Das wäre überhaupt kein Problem.”
Und wie sieht man das in Nürnberg? “Diese Frage kommt jedes Jahr”, verrät eine Sprecherin der Stadt auf Anfrage. Man habe keinen Zweifel daran, dass die Botschaft des Christkinds durch Menschen jeden Geschlechts vermittelt werden könne, wolle aber der Geschichte Rechnung tragen. Überlieferungen zufolge gebe es schon sehr lange das Bild eines weiblich-jugendlichen Christkinds, das sich im Lauf der Jahrhunderte verfestigt habe. “Dementsprechend werden für das alle zwei Jahre neu vergebene Amt schon seit 1969 junge Mädchen im Alter zwischen 16 und 19 Jahren gesucht, die mit einem langen Kleid und einer goldenen Krone zum Nürnberger Christkind werden.”
Dass es auch in Nürnberg irgendwann ein männliches Christkind geben könnte, ist zum jetzigen Zeitpunkt also eher unwahrscheinlich. Auch wenn sich Traditionen natürlich ändern können. “Die einen beharren in solchen Fragen darauf, wie es schon immer war”, meint Becker-Huberti. “Und die anderen machen es einfach anders.”
Christkind Hannes hätte jedenfalls nichts dagegen, wenn das Christkind auch in Zukunft öfter von einem Jungen dargestellt würde. “Wer an der Tradition festhalten will, soll das machen. Aber ich fand es auch schön, dass es hier einmal anders war”, meint auch Mutter Christiane Bielmeier. Aber eines hatte Hannes’ Christkind-Auftritt wohl mit allen anderen gemeinsam: “Es war aufregend und turbulent.”