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Warum der Gemeindekirchenrat jetzt wichtiger ist denn je

In vielen Gemeinden stehen Kirchenratswahlen an – und gerade jetzt braucht es Menschen, die Verantwortung übernehmen, Gemeinschaft bauen und mutig neue Wege gehen. Ein Kommentar von zwei Ältesten.

Kirche als Mittelpunkt der Gemeinde: Hier werden Entscheidungen getroffen, die das gemeinsame Leben vor Ort prägen
Kirche als Mittelpunkt der Gemeinde: Hier werden Entscheidungen getroffen, die das gemeinsame Leben vor Ort prägenWikimedia/CC BY-SA 3.0

Neulich sagte jemand: „Kirchenälteste – das klingt nach Rückzug, nach Bewahren.“ Wir mussten lachen. Denn gerade das Gegenteil ist nötig. Kirche braucht heute Menschen, die gestalten, nicht nur verwalten – die Verantwortung übernehmen, Entscheidungen treffen, Prioritäten setzen und Lust haben, etwas zu bewegen. Wir kommen aus Zeiten, in denen wir Kirchen gebaut und saniert haben. Das war wichtig. Aber jetzt geht es um eine andere Baustelle: Wie bauen wir Gemeinschaft? Wir brauchen Selbstbewusstsein, Kreativität – und auch ein bisschen Frechheit. Früher hieß es oft: Der Pfarrer sagt, wie’s geht, und der Rest nickt. Heute sind die Bedingungen anders: weniger Personal, größere Räume, mehr Verantwortung vor Ort. Da reicht Abstimmen und Unterschreiben nicht mehr. Wir brauchen Vorstände, die wirklich führen, Schwerpunkte setzen, die Finanzen im Blick behalten und Lust haben, Dinge anzuschieben.

Da sind die neuen Perspektivpläne ehrlich – schmerzhaft ehrlich, vor allem hier bei uns. Auf der Herbstsynode unseres Kirchenkreises haben wir den neuen Haushalts- und Stellenplan gerade beschlossen. Für die nächsten zehn Jahre stehen halbe Stellen, Zusammenschlüsse und viele weitere Veränderungen an. Damit tragen Gemeinden mehr Verantwortung, brauchen aber zugleich mehr Handlungsspielraum: klare Zuständigkeiten, verlässliche Planung, faire Finanzierungen. Wo Strukturen sich verändern, wächst der Bedarf an Vertrauen. Statt auf weiße Flecken zu warten, haben wir uns in den ländlichen Gemeinden schon früh zusammengetan. Wir mobilisieren Eigenmittel – Pachten, Mieten, Spenden – damit Stellenanteile ergänzt werden können. Und wir brauchen professionelle Begleitung für Projekte, damit aus Ideen Strukturen werden. Verlässliche Planung ist kein Luxus, sondern Voraussetzung.

Von Gebäuden zu Beziehungen

Viele haben in den 90ern Unmögliches möglich gemacht. Damals waren Gebäude das Notsignal und Bauen wie ein Aufatmen – endlich konnten wir retten, was uns wichtig war. Die meisten Kirchengebäude stehen heute gut da, mitten im Dorf. Aber wie sieht es mit dem Lebensmittelpunkt aus – hat Kirche da noch einen Platz? Seelsorge, Diakonie, Musik, Bildung, Begegnung. Menschen suchen keine perfekte Kirche, sondern eine, die zuhört, antwortet, begleitet. Wir erleben, was entsteht, wenn der Kaffee nach dem Gottesdienst nicht Anhängsel ist, sondern Mitte: ein Raum fürs Gespräch. Frontalgottesdienst ist okay. Wir brauchen aber auch diese Tische und Gruppen zum Austausch. Gemeinschaft entsteht, wo Menschen miteinander reden – und sie ist es, die am Ende trägt. Christentum war nie nur Kult, sondern immer auch eine soziale Bewegung. Gerade wo Angst wächst, braucht es Begegnung: reden, helfen, empathisch bleiben. Darum wünschen wir uns, dass am Ende jeder Strukturdebatte ein soziales Projekt steht, das Menschen spüren lässt, wofür Kirche da ist – praktisch, nicht abstrakt.

Dazu gehört Dankbarkeit, nicht als Pflicht, sondern als Haltung. Da reden wir gern über Mängel, vergessen aber die Möglichkeiten: Wie viel Freiheit haben wir? Wofür können wir dankbar sein? Dankbarkeit macht friedlicher und offener für Verantwortung. Sie gehört für uns in jeden Gottesdienst wie die Fürbitte. Heute stehen wir wie in den 90er Jahren erneut an einem Wendepunkt. Die Aufgabe heißt nun nicht Kirchensanierung, sondern Gemeindeaufbau. Das verändert die Rolle im Kirchenvorstand: weniger Baustelle, mehr Beziehung, Kommunikation und Netzwerk. Wer Organisation mag und Sinn sucht, ist hier richtig – und wird Erfolgserlebnisse haben. Wenn ein Konzert viele Gäste anzieht, eine Andacht berührt oder junge Familien sagen: „Hier bleiben wir.“ Dafür müssen wir auch Menschen einbinden, die nicht (mehr) Mitglied sind, aber mitgestalten wollen.

Stärken nutzen – Profil zeigen

Ehrenamt braucht Räume für junge Menschen: Orte, an denen sie sich ausprobieren, Projekte starten, Kultur machen. Kirche bietet dafür die Struktur, Werte und ein wenig Geld – genau die Mischung, die es dafür braucht. Wo Wertschätzung gelernt wird, wachsen Menschen heran, die sie weitertragen. Jugendarbeit ist kein Extra, sondern prägt Beziehungen. Glück entsteht im Zwischenmenschlichen. Wenn wir Gespräch, Anerkennung und Verantwortung auf Zeit ermöglichen, kommen junge Leute, die nicht nur helfen, sondern auch gestalten. Ländliche Räume sind netzwerkfähig: Kita, Schule, Vereine, Kultur. Wir müssen Profil zeigen. Wer für Musik steht, macht Musik groß; wer für Natur steht, verbindet sie mit Bildung und Spiritualität; wer Diakonie stärkt, öffnet Türen in Teilhabe. Profil macht sichtbar. Das alles gelingt nur mit Verlässlichkeit: klare Zuständigkeiten, langfristige Vereinbarungen, manchmal auch Projektstellen, um Neues anzuschieben. Ehrenamt blüht, wenn es professionell begleitet wird.

Wer kandidiert, entscheidet mit darüber, wie Kirche klingt: ob sie Räume öffnet, zuhört, ansprechbar bleibt für die Fragen der Gegenwart. Das braucht Menschen, die mit Herz und Kopf unterwegs sind, auch auf unklaren Wegen Verantwortung übernehmen und die Zukunft gestalten wollen. Darum stellen wir uns der Wahl und freuen uns über alle, die sich in ihren Gemeinden einbringen und an der Wahl beteiligen. Unsere Kirche lebt von Menschen, die nicht fragen, was sie bekommen, sondern was sie beitragen können. Verantwortung zu übernehmen heißt, der Zukunft Gestalt zu geben. Und das lohnt sich – für das Dorf, die Kirche und uns alle.

Gabriele Förder-Hoff ist Vorsitzende des Gemeindekirchen­rates der Regionalkirchengemeinde Herzfelde bei Templin (Brandenburg).

Hans-Martin Meyerhoff ist Vorsitzender des Gemeindekirchenrates der Kirchengemeinde Friedrichswalde (Brandenburg).