Der Prophet Elia ist völlig ausgepowert. Gerade erst hat er auf dem Berg Karmel das Gottesurteil an den Baalspriestern martialisch vollstreckt und jetzt will ihm Königin Isebel ans Leben. Elia macht sich auf den Fluchtweg und rennt um sein Leben. Am Rand der Wüste lässt er seinen Diener zurück und läuft allein eine Tagereise weiter. Er legt sich unter einen Ginsterbusch und wünscht sich den Tod. Todmüde schläft er ein.
Ein Engel rührt ihn an und sagt: „Steh auf und iss!“ Vor sich sieht er ein geröstetes Brot und einen Krug mit Wasser; er isst und trinkt. Nach dieser Stärkung legt Elia sich ein zweites Mal schlafen. Wieder rührt der Engel ihn an und fordert ihn erneut auf: „Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“ Nun kann Elia weiterlaufen, voller neuer Kräfte.
Fünf Aspekte einer guten Pause
Spätestens jetzt in der Urlaubszeit ist Anlass genug, ein Loblied auf die Pause anzustimmen. Die wunderbare Erzählung über Elia aus 1. Könige 19 lehrt mich fünf Aspekte, die in den Augen der Bibel eine gute Pause ausmachen:
1. Für die gute Pause brauche ich einen Ortswechsel. Die Arbeitsumgebung taugt dafür nicht. Idealerweise finde ich eine Stelle, die der Wüste möglichst ähnelt: reizarm und ruhig.
2. Für die gute Pause lasse ich andere Menschen zurück und bleibe allein. Jetzt verzichte ich auf Kommunikation und konzentriere mich auf mich selbst.
3. Das Erste der guten Pause liegt im Achten auf die elementaren Bedürfnisse: Schlafen, Essen und Trinken. Alles andere hat noch Zeit, selbst Lesen und Sport, ja sogar das Beten.
4. Die Pause braucht ausreichend Zeit. Wie bei Elia ist nach dem Schlaf und dem Essen und Trinken unter Umständen erst einmal eine weitere Runde Schlafen angesagt.
5. Die gute Pause ist die beste Gelegenheit für Gottes Engel, zu mir zu kommen. In Phasen meiner Betriebsamkeit haben sie kaum eine Chance, zu mir durchzudringen.
Der vornehmste Ort der Gottesbegegnung
Dieser letzte Aspekt ist es, warum die Bibel so voller Loblieder auf die Pause ist. Die Pause ist vornehmster Ort und vornehmste Zeit für die Gottesbegegnung. Deswegen gibt es kein biblisches Gebot für die Arbeit, aber ein gewichtiges Gebot für die Unterbrechung: das Sabbatgebot. Es ist das zentrale Gebot des Dekalogs, das ausführlichste und das in der Bibel am häufigsten eingeschärfte. Ich jedoch lebe dauernd fundamental gegen dieses Gebot und tue so, als sei die Arbeit das Entscheidende und die Pause die peinliche und vor anderen wortreich zu rechtfertigende Ausnahme.
Solange ich beschäftigt bin, lebe ich in der unausgesprochenen Annahme, ich könne durch mein geschäftiges Treiben etwas bewirken. Ich bin Herr meiner Pläne und Taten. Ich bilde mir ein, mein Leben zu entwerfen und gestalten.
Der Mensch hat sich nicht in der Hand
Erst die Pause hält mir vor Augen, welch einem grundlegenden Irrtum ich damit aufsitze. Das Wesentliche in meinem Leben ist eben nicht meine Idee und das Ergebnis meines großartigen Handelns. Ich habe mich nicht selbst ins Leben gerufen. Nicht nur in meinen ersten Lebensmonaten bin ich fundamental angewiesen auf andere Menschen und auf Gottes unergründliche Liebe. Dass ich atmen, singen und lächeln kann, ist nicht Ergebnis meiner Anstrengungen. Meine Passivität in der Pause bescheinigt mir die Grenzen meiner Aktivität.
Eine durch und durch ökonomisierte Gesellschaft denkt konsequent von den Zwecken her. Das betrifft auch das – welch schreckliches Wort! – Humankapital. In diesem Zweckdenken hat die Pause durchaus einen Platz. Sie dient hier jedoch selbst wieder lediglich einem definierten Zweck: nämlich der völligen Wiederherstellung der kompletten Leistungsbereitschaft und -fähigkeit eines Menschen. Der Sabbatgedanke der Bibel steht dem diametral entgegen: Der Sabbat ist Zeit ohne jeden Zweck, nicht einmal für den Zweck der Regeneration.
Wie die Arbeit und das Zweckdenken der Ökonomie für das Gesetz stehen, so ist die Pause Platzhalterin des Evangeliums. Sie erinnert mich daran, dass ich reich beschenkt bin, ganz ohne mein Zutun. Als Erstes und Entscheidendes in meinem Leben bin ich Empfangender, nicht etwa Gebender.
Als Gott das Universum in sechs Tagen durch sein mächtiges Wort ins Dasein gerufen hat, ruht er aus. Nur den siebenten Tag heiligt und segnet er. Dieser siebente Tag ist die Krone der Schöpfung, nicht etwa der Mensch. Gott ruht, anders als Elia, nicht, weil er erschöpft wäre. Er ruht, um seinen Geschöpfen einen heilsamen Rhythmus vorzuleben, der auch ihr Leben prägen soll.
Gott sorgt für die rechte Zeiteinteilung
In den ersten sechs Tagen hat Gott bereits für planetare Zeiteinteilungen gesorgt: Die Sonne bedingt den Wechsel von Tag und Nacht und die Jahreszeiten; der Mondlauf steht für einen Rhythmus, der die Gezeiten, das Wachstum und die Regel der Frau beeinflusst. Der siebente Tag dagegen ist eine von den irdischen Gegebenheiten unabhängige, allein vom Schöpfer selbst gesetzte heilsame Unterbrechungszeit.
Und so gilt der Zuspruch des Sabbats auch für alle Lebewesen. Das Vieh ist im Sabbatgebot eigens erwähnt. Der Acker feiert alle sieben Jahre ein Sabbatjahr und liegt brach; der Boden erholt sich, die Armen sammeln die Reste ein und alle erinnern sich an den, dem sie wahrhaft innere und äußere Nahrung verdanken. Und das Sabbatjahr sorgt darüber hinaus für einen sozialen Ausgleich: Im siebenten Jahr sind alle Sklaven freizulassen und Schulden zu erlassen, alle sieben Sabbatjahre, im Jobeljahr, gilt ein Ausgleich beim Landbesitz.
Heilungen als Werke des Sabbats
Nun, könnten Sie jetzt einwenden, alles gut und schön, aber hat Jesus nicht das Sabbatgebot immer wieder übertreten, ja die Einhaltung des Sabbats abgelehnt? So lautet bis heute eine sehr verzerrte Sicht auf neutestamentliche Abschnitte zum Sabbat. In der Tat kritisiert Jesus, wie gerade die Pharisäer den Sabbat, der doch pures Evangelium ist, zu einem Gesetz machen, das jede Kleinigkeit dieses Tages regeln möchte und die Menschen damit in ein Korsett zwingt.
Jesus schafft den Sabbat aber keineswegs ab. Er erinnert vielmehr an dessen ursprünglichen Sinn als heilsame Unterbrechung. Und darum sind es immer wieder Heilungen Jesu, die uns die Bibel am Sabbat berichtet. Ist das nicht Arbeit, protestieren die Schriftgelehrten? Nein, sagt Jesus, der Sabbat, die Pause ist dazu da, dass Menschen innerlich und äußerlich Ruhe finden und heil werden. Darum ist die Befreiung von einem körperlichen Leiden eine geradezu idealtypische Befolgung des Sabbatgebots. Sich von Gott in Hast und Eile unterbrechen zu lassen macht Leib und Seele gesund.
Jeder Tag braucht zwecklose Zeit
Vermutlich war das Sabbatgebot nie so wichtig wie heute. Im Medienzeitalter gibt es weder Tag noch Nacht, weder Sommer noch Winter. Chatten und shoppen gehen rund um die Uhr. Eigentlich müsste ich ununterbrochen auf Sendung sein. Pausen ergeben sich nicht mehr natürlich oder automatisch. Dieses gnadenlose Zeitregiment fordert von mir, Gottes Sabbatgebot aktiv zu befolgen. Das wahre biblische Pflichtprogramm sind Pause und Unterbrechung, nicht etwa Kampf und Einsatz.
Und solche Pausen, solch göttliche Rhythmen, sollen unsere Zeit prägen. Jeder Tag braucht einen echten Sabbatmoment, den Rückzug an einen Wüstenort, zwecklose, tatsächlich freie Zeit, nur für mich. Keine Woche soll ohne einen echten Sabbat vergehen, einen Tag, der sich jeglicher Arbeit und Pflicht enthält. Und in jedem Jahr brauche ich eine längere sabbatliche Pausenzeit.
Elia läuft nach seiner Stärkung in der Wüste 40 Tage und 40 Nächte, bis zum Berg Gottes. Ihnen wünsche ich einen Sommer, der echte Pause bringt, und das heißt biblisch: die Begegnung mit einem nährenden und stützenden Engel Gottes.