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Wandteppich von Bayeux soll erstmals an England verliehen werden

Der Teppich von Bayeux ist das beeindruckendste Beispiel politischer Propaganda des Mittelalters. Er dokumentiert den Sieg der Normannen über England. Nun folgt er quasi den Spuren seiner Geschichte.

Der Wandteppich von Bayeux in der Normandie (Département Calvados) ist eine Art mittelalterlicher Comic; allerdings ein politischer, ja propagandistischer Comic. Er hat Hastings zu einer der berühmtesten Schlachten der europäischen Geschichte gemacht. Die Schlacht von Hastings 1066, der Sieg der Angreifer, der französischen Normannen, und ihre lange Herrschaft haben England zum festen Bestandteil der europäischen Staatenfamilie gemacht. Der normannische Herzog Wilhelm “der Bastard” wurde zum englischen König Wilhelm “dem Eroberer” (1066-1087).

Mehrfach im 20. Jahrhundert haben die Engländer angefragt, den Teppich ausgeliehen zu bekommen, etwa zur Krönung von Queen Elisabeth II. 1953 und zum 900. Jahrestag der Schlacht 1966 – stets vergeblich. Seit 2018 gab es nun konkrete Pläne – und am Mittwoch kündigte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron endlich dieses symbolträchtige Geschenk an: Während das 1982 eigens dafür errichtete Centre Guillaume le Conquérant in Bayeux umgestaltet wird, soll der Teppich bis 2026 im Britischen Museum in London ausgestellt werden.

“Das ist das erste Mal, dass dieser nationale Schatz französischen Boden verlassen wird”, so Macron. Dies verdeutliche “eine noch nie da gewesene kulturelle Partnerschaft unserer beiden Länder”. Und das nach dem EU-Austritt Großbritanniens 2020, der – zumindest nach Meinung der “Brexiteers” – die Scharte von 1066 endlich auswetzen sollte.

“Keiner sonst als Wilhelm hat je die Insel eingenommen”, sagt der Historiker Alain Dolbecq aus Falaise, dem Geburtsort Wilhelms des Eroberers in der Normandie: “Julius Caesar nicht, Karl der Große nicht, Napoleon nicht und Adolf Hitler nicht.” Für die Engländer gibt es bis heute “die Zeit vor Hastings und die Zeit nach Hastings”. In einer politisch aufgeladenen Selbstbestimmungsstimmung könnte womöglich dieses Propagandastück der Unterdrückung das “Britannia rules the waves – Britons shall never be slaves”-Gefühl verstärken.

Das 68 Meter lange Textil erzählt in 58 gestickten Szenen detailliert die Geschichte der Schlacht, freilich aus der Sicht des Siegers, “Wilhelms des Eroberers”. Das Tableau: “Wilhelm der Bastard”, Herzog der Normandie, grob, dynastisch angefochten, ambitioniert. Bischof Odo von Bayeux, sein Halbbruder. Die normannischen Ansprüche auf den englischen Thron stehen auf sehr dünnen Beinen – ja eigentlich lediglich auf einer durch die Quellen unbestätigten Behauptung: der verstorbene englische König Edward und Wilhelms Thronrivale Harold Godwinson hätten beide ihm, Wilhelm, vorab Englands Krone versprochen.

Der Teppich – mit seiner Version selbst eine Geschichtsquelle ersten Ranges – verwendet einige Meter Stoff auf diese beiden angeblichen Eide. Wegen seiner Detailfülle und des durchdachten Storyboards zählt der Teppich von Bayeux zu den bedeutendsten Bilddarstellungen des Hochmittelalters. Seit 2007 gehört er zum Weltdokumentenerbe der Unesco.

Die kunstvolle Stickerei entstand wohl vor 1082 in Südengland. Abgebildet sind mehr als 600 Menschen, 200 Pferde, rund 550 andere Tiere sowie 40 Schiffe. Als mögliche Auftraggeber kommen drei Personen in Betracht: Bischof Odo von Bayeux, der Halbbruder Wilhelms und Teilnehmer des Feldzugs; ebenso wie zweitens der französische Graf Eustachius von Boulogne. Dieser legte sich später militärisch erfolglos mit Odo an – und beauftragte den Teppich möglicherweise als Versöhnungsgeschenk.

Und drittens die Schwester des besiegten Königs Harald II. und Witwe König Edwards des Bekenners, Edith von Wessex. Der normannische Sieger Wilhelm enteignete zwar den Großteil des angelsächsischen Adels, verschonte jedoch ausgerechnet Edith. Möglich, dass die Hochgebildete im Gegenzug durch die gestickte Geschichtsinterpretation propagandawirksam Wilhelms Herrschaftsanspruch anerkannte.

Im späten Mittelalter wurde der Teppich alljährlich in der Kathedrale von Bayeux zur Schau gestellt. In der Französischen Revolution dann verhinderte nur das Eingreifen eines kundigen Bürgers, dass das unersetzliche Kunstwerk 1792 als gewöhnliche Wagenplane für einen Militärtransport endete. 1794 kamen Kunstverständige einem Kleinschneiden für Deko-Zwecke zuvor. 1803 ließ Napoleon den Teppich als Propagandamaterial für seinen geplanten England-Feldzug nach Paris bringen. Zwar kehrte der Teppich kurz darauf nach Bayeux zurück, nahm jedoch durch falsche Lagerung Schaden.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Wandteppich von den NS-Besatzern erneut ideologisch missbraucht und abgeführt – diesmal um eine angebliche kämpferische und rassische Überlegenheit nordisch-arischer Völker zu belegen. Auf SS-Irrwegen gelangte er erneut in den Pariser Louvre und 1945 wieder zurück nach Bayeux. Seit 1982 wird er im dortigen Centre Guillaume le Conquérant ausgestellt, wo er seitdem bereits von rund 14 Millionen Besuchern betrachtet wurde. Nun geht’s über den Kanal – gegen die Sorge der Konservatoren, dieses Stück sei nicht zum Transport gemacht.