Amtsinhaber Kais Saied hat die Präsidentschaftswahl in Tunesien offiziellen Angaben zufolge deutlich gewonnen. Saied erhielt bei der Abstimmung am Sonntag 90,69 Prozent der Stimmen, wie die Wahlbehörde ISIE, deren Mitglieder vom Präsidenten ernannt werden, am Montagabend in Tunis bekannt gab.
Insgesamt hatten rund 2,8 Millionen der mehr als 9,7 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Die Wahlbeteiligung lag laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis bei 28,8 Prozent.
Der liberale Gegenkandidat Ayachi Zammel erhielt nach Angaben der ISIE 7,35 Prozent, der links-nationalistische Zouhair Maghzaoui 1,97 Prozent. Zammel wurde von weiten Teilen der Opposition unterstützt. Er war wegen Unregelmäßigkeiten bei Unterschriften zur Unterstützung seiner Kandidatur zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt worden, sitzt im Gefängnis und konnte daher keinen Wahlkampf machen. Seine Unterstützer sprechen von politisch motivierten Verfahren gegen den Kandidaten.
Nach der Bekanntgabe der Ergebnisse forderte das Team von Zammel Präsident Saied und die Opposition zu einer „politischen Ruhephase“ auf, um den Interessen des Landes Vorrang einzuräumen. Die Freilassung aller politischen Gefangenen müsse dabei an erster Stelle stehen. Noch am Wahlabend hatte Präsident Saied dem tunesischen Staatsfernsehen gesagt, sein Ziel sei die Vollendung der tunesischen Revolution. Dazu werde man das Land „säubern von Korrupten und Korrumpierenden, von jenen, die Zweifel säen, und von Verschwörern“.
Der Wahlkampf war von mehreren juristischen Auseinandersetzungen überschattet. Kritiker stellten daher die Legitimität der Abstimmung infrage. Mehrere von der Wahlbehörde ISIE abgelehnte Kandidierende hatten Widerspruch gegen ihre Ablehnung eingereicht, dreien von ihnen gab das zuständige Verwaltungsgericht recht. Die ISIE weigerte sich jedoch, die drei Kandidaten ins Rennen aufzunehmen. Daraufhin verabschiedete das Parlament zehn Tage vor der Wahl eine Gesetzesänderung und entzog dem Gericht die Zuständigkeit für Wahlanliegen, um zu verhindern, dass es die Abstimmung im Nachhinein für ungültig erklärt.
Die tunesische Wahlbeobachterorganisation Chahed gab am Montag in einer Pressekonferenz bekannt, mehrere Regelverstöße beobachtet zu haben, und beklagte zudem eine geringe Zahl von Wahlbeobachtern. Mehrere tunesische Nichtregierungsorganisationen hatten im Gegensatz zu früheren Abstimmungen von der Wahlbehörde keine Akkreditierungen erhalten.
Der 66 Jahre alte Amtsinhaber Saied war im Oktober 2019 demokratisch gewählt worden. Am 25. Juli 2021 rief er in einer rechtlich umstrittenen Entscheidung den Notstand aus. Seitdem hat er nach und nach immer mehr Macht auf sich vereint. 2022 ließ er über eine neue Verfassung abstimmen, die dem Präsidenten wesentlich mehr Befugnisse zugesteht. Unabhängige staatliche Institutionen wurden seitdem zunehmend unter direkte Kontrolle der Regierung gestellt, Dutzende Oppositionelle wegen mutmaßlicher Umsturzpläne festgenommen.