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Wachsende Sorge vor Anstieg bei Selbsttötungen nach Kessler-Tod

Suizide nicht romantisieren, weil das alte Menschen unter Druck setzen könnte, sich selbst zu töten. Diesen Appell richten Verbände und ein Fachmann an die Öffentlichkeit – und an die Medien.

Der Deutsche Caritasverband befürchtet nach der breiten Berichterstattung über den Tod der Showstars Alice und Ellen Kessler einen Anstieg von Suiziden. “Jedes Mal, wenn bekannte Personen sich das Leben nehmen und darüber breit in der Presse berichtet wird, gibt es einen messbaren Anstieg von Suiziden”, sagte Caritaspräsidentin Eva Welskop-Deffaa am Mittwoch in Berlin.

Sie kritisierte, über die Selbsttötung der Zwillinge sei vielfach sehr positiv und romantisierend berichtet worden. Dabei sei der Wunsch betont worden, “vereint” zu sterben, um nicht “ins Heim” zu müssen. “Inwieweit er als Ausdruck von Ausweglosigkeit und Verzweiflung zu werten ist, gegen die das soziale Umfeld hätte etwas tun können, wird kaum gefragt”, so Welskop-Deffaa.

Sie rief die Medien zu zurückhaltender und verantwortungsvoller Berichterstattung über Suizide auf. Zugleich brauche es mehr Suizidprävention, ein Werbeverbot für Organisationen, die bei Selbsttötungen begleiten, sowie eine gesetzliche Regelung der Suizidbegleitung.

Ähnlich äußerte sich der Vorstand der Deutschen Palliativ-Stiftung, Thomas Sitte: “Die zunehmende Akzeptanz von Selbsttötungen wird insbesondere durch die Berichterstattung gefördert und gesellschaftlich anerkannt”, sagte er am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Wir befinden uns hier schon längst auf einer sehr schiefen Ebene.”

Der Mediziner beobachtet eine Zunahme von assistierten Doppelsuiziden bei älteren (Ehe)-Paaren, mit der Begründung, eine Pflegesituation vermeiden zu wollen. In den Medien werde das häufig als “besonders liebevoll und schön” dargestellt.

Der Stiftungsvorstand verwies auf die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der freiverantwortliche Sterbewunsch eines Menschen keinen nachvollziehbaren Grund brauche. “Wir dürfen dann einen Menschen nicht daran hindern. Das heißt aber auch nicht, dass wir den Wunsch unterstützen müssen oder sollten. Im Gegenteil”, sagte Sitte.

Er sei überzeugt, dass inzwischen eine Mehrzahl der Deutschen sogar noch einen Schritt weiter gehen wolle und eine Legalisierung der Tötung auf Verlangen, also aktive Sterbehilfe wünsche. “Das können wir gut finden oder auch nicht. Unserer Stiftung hält es für eine große Gefahr, die das gesellschaftliche Miteinander verändert.”

Auch die Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht, Alexandra Linder, kritisierte eine “Quasi-Verherrlichung eines tragischen Todes” durch eine zu positive Berichterstattung. Sie stellte zudem das Vorgehen in Frage, ob ein Jurist ohne Fachausbildung den psychischen und physischen Zustand, die Vorgeschichte und die Autonomie von Personen, die er nicht kenne, bewerten könne. Außerdem sei unklar, ob es wirklich keine äußeren Einflüsse wie die Angst vor Einsamkeit oder Leiden auf die Entscheidung gegeben habe.

“In einem der wohlhabendsten Staaten der Welt muss niemand einsam, mit starken Schmerzen oder Leiden sterben, wenn der Wille dazu da ist”, so Linder. Menschen in schweren Lebenslagen, die über Suizid nachdenken, diesem Schicksal zu überlassen und die Selbsttötungsabsicht zur Autonomie zu erklären, sei inhuman.

Vor fünf Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht das zeitweise geltende Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid für ungültig erklärt. Die Karlsruher Richter formulierten in ihrem Grundsatzurteil ein Recht auf Selbsttötung und ärztliche Begleitung beim Suizid, wenn sie freiverantwortlich geschehen. Seitdem gibt es keine gesetzlichen Regeln zu der Frage.

Das Verfassungsgericht stellte es dem Gesetzgeber frei, ein neues Gesetz zu erlassen oder darauf zu verzichten. Zwei Gesetzesinitiativen erhielten im Bundestag keine Mehrheit. Aktuell sind keine neuen Gesetzesvorhaben bekannt.