UK 26/2016, Namibia (Seite 10: „Immer wieder das V-Wort“)
Auch „Der Spiegel“ hat sich in der Ausgabe 24/2016 mit den kriegerischen Ereignissen in Namibia befasst. Nach der Lektüre scheue ich davor zurück, das Wort Völkermord zu benutzen. Zu vielseitig sind die zu bedenkenden Sichtweisen und Einschätzungen. Gutgläubig auf die Völkermord-These zu setzen, ist nicht angebracht.
Dem „Spiegel“-Bericht zufolge stammt die gängige Geschichtsdeutung des Völkermords vor allem von dem marxistischen DDR-Historiker Horst Drechsler, „dem es nach eigenem Bekunden darum ging, den verhassten Kolonialismus in all seinen Spielarten zu entlarven“. Drechsler, so heißt es, habe sich dabei hauptsächlich auf das berüchtigte „Blue Book“ der Briten vom Mai 1918 berufen – eine antideutsche Propagandaschrift, die die britische Regierung 1926 einstampfen ließ. Im Artikel wird mit weiteren Argumenten die Datenlage als eher dürftig beschrieben.
Natürlich kann aus der unbefriedigenden Informationslage nicht geschlossen werden, dass es einen Völkermord in Namibia nicht gab. Der Beweis des Gegenteils steht meiner Auffassung nach aber noch aus.
Ob der Tatbestand des Völkermords (§ 6 VStGB) erfüllt ist, müssen Juristen klären. Da die als Täter in Betracht kommenden Personen tot sind, wird eine juristische Aufarbeitung und letztlich die Rechtsfolge „lebenslange Freiheitsstrafe“ beziehungsweise „Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren“ ins Leere laufen. Eine politische Reaktion wird dies zur Folge haben.
Dass die Bundesregierung sich der Mitwirkung von Juristen und Historikern versichert, ist notwendig und selbstverständlich. Letztlich wird eine politische Entscheidung getroffen werden. Eine Vorverurteilung der Deutschen, des Kaiserreichs, der Militärs unter anderem durch die Verwendung des Völkermordbegriffs ist nicht angezeigt und dient eventuell nicht der Akzeptanz der Ergebnisse durch die Öffentlichkeit.
Herbert Oberst, Halle