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„Vorbild, kein Attentäter“

Der Titel ist einigermaßen überraschend. In ihrem Buch „Stauffenberg – mein Großvater war kein Attentäter“ befasst sich die Stauffenberg-Enkelin Sophie von Bechtolsheim mit ihrem Großvater.

Sie wolle keine „Berufshinterbliebene“ sein, hat Claus von Stauffenbergs Witwe Nina einmal gesagt. Sie und ihre Familie hielten sich viele Jahre im öffentlichen Gedenken an den 20. Juli 1944 zurück. Und doch lässt sich manches Erbe einfach nicht ausschlagen, selbst von der dritten Generation nicht. Zum 75. Jahrestag des gescheiterten Umsturzversuchs legt die Stauffenberg-Enkelin Sophie von Bechtolsheim im Herder-Verlag ein Buch über ihren „Opapa“ vor – und überrascht bereits im Titel mit einem Einspruch: „Mein Großvater war kein Attentäter“.

Die gelernte Historikerin und Kommunikationswissenschaftlerin, Jahrgang 1968, beschreibt in ihrem Essay eine höchst persönliche Annäherung an den prominenten Vorfahren, um den in ihrer Familie nie ein „Gewese“ gemacht worden sei. Weder ihr Vater, dessen Geschwister noch die Großmutter hätten je einen „Heldenkranz“ um sein Haupt geflochten, schreibt sie. „Wir mussten nicht andachtsvoll Kopf und Stimme senken, wenn das Gespräch auf ihn kam.“

Sophie von Bechtolsheim nimmt den Leser mit auf Spurensuche, was für ein Mensch dieser Wehrmachtsoffizier war, der den „Führer“ in dessen Hauptquartier mit einer Bombe töten und anschließend von Berlin aus den Umsturz dirigieren wollte. Sie erzählt, wie merkwürdig es für sie war, ihrem Großvater im Schulbuch zu begegnen oder als „Nachkomme“ bei staatlichen Gedenkakten dem Bundeskanzler die Hand zu schütteln. Im Zuge einer Straßenumbenennung wurde sie einmal sogar gefragt, ob sie ihren Großvater noch gekannt habe.

Die wichtigste Quelle der Autorin sind die Erinnerungen ihrer Großmutter, die erst 2006 starb. 1985 zog Sophie von Bechtolsheim in deren Nähe nach Bamberg. Bis zum Abitur ließ sich die Schülerin zwei Jahre lang jeden Donnerstag von ihrer Großmutter bekochen. Bei diesen Gelegenheiten konnte sie ihr „all die Fragen stellen, die ich mich vorher nicht zu fragen getraut hatte“.

Diese mündlichen Überlieferungen bringt die Stauffenberg-Enkelin teils kritisch in Stellung gegen jüngste Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen über Claus von Stauffenberg. So dementiert sie die Darstellung Thomas Karlaufs, der Dichter Stefan George hätte ihren Großvater entscheidend beeinflusst. Eine wichtigere Prägung misst sie dem katholischen Glauben bei. Obwohl ihre Großmutter ihre evangelische Konfession zeitlebens behielt, habe sich das Paar auf eine katholische Trauung und Kindererziehung verständigt. Wenige Tage vor dem Attentat habe sich Stauffenberg von seinem Fahrer zum Gebet in die Rosenkranz-Basilika in Berlin-Steglitz bringen lassen.

Auch die Behauptung, der Soldat sei kein Demokrat gewesen, will die Enkelin nicht gelten lassen. So habe sich Stauffenberg im Erfolgsfall der Erhebung den Sozialdemokraten Julius Leber als Reichskanzler gewünscht, auch wenn im Unklaren bleiben müsse, „welche konkreten gesellschaftspolitischen Visionen mein Großvater tatsächlich hatte“. Früher als andere Autoren datiert von Bechtolsheim erste Äußerungen Stauffenbergs, es gebe keine andere Lösung als den „Führer“ zu töten, nämlich auf den Winter 1941/42.

Warum aber will die Enkelin ihren berühmten Vorfahren nicht als „Attentäter“ etikettiert wissen? Weil es ihm, zusammen mit seinen Mitverschwörern, primär um den Sturz eines verbrecherischen Diktators gegangen sei, hält sie fest. Den Anschlag habe er „notgedrungen“ nur deshalb selbst ausgeführt, weil es ihm in den Wochen vor dem 20. Juli nicht gelungen sei, jemand anderen dafür zu gewinnen.

„Attentäter“ – dieser Begriff ist für die Autorin in erster Linie durch die linksextremistischen RAF-Terroristen belegt, denen sie in den 1970er Jahren auf Fahndungsplakaten begegnete – und durch islamistische Bombenleger der Gegenwart. In einer solchen Reihe möchte Sophie von Bechtolsheim ihren Großvater nicht sehen. Schließlich sei es am 20. Juli 1944 nicht darum gegangen, „Terror in die Welt zu setzen, sondern Tyrannei zu beenden“.