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Vor 80 Jahren wurde Aachens Oberbürgermeister Oppenhoff ermordet

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Franz Oppenhoff ermordet. Er war Aachens erster Bürgermeister nach Einnahme der Stadt durch US-Truppen. Ein Lehrstück über Mut und die Folgen von Fanatismus und Gewalt.

Die Mörder kamen an einem Palmsonntag. Am späten Abend des 25. März 1945 tauchen Josef Leitgeb und Herbert Wenzel in der Wohnung von Franz Oppenhoff auf. Der Oberbürgermeister von Aachen ist gemeinsam mit seiner Frau Irmgard bei Nachbarn eingeladen. Die beiden Eindringlinge geben sich gegenüber der erschrockenen Haushälterin Elisabeth Gillessen als abgeschossene deutsche Piloten auf der Suche nach Unterstützung durch den Oberbürgermeister aus. Der erscheint wenig später und rät den beiden, sich den US-Amerikanern zu stellen, die seit dem Herbst 1944 die Kontrolle über die Stadt haben.

Ganz ohne Stärkung will Oppenhoff die ungebetenen Gäste nicht ziehen lassen und trägt seiner Haushälterin auf, ein paar Butterbrote zu schmieren. Zusammen mit Leitgeb und Wenzel geht er hinaus in den Garten. Weil die Butterbrote auf sich warten lassen, sieht er wenig später noch einmal im Haus nach dem Rechten. Als er durch den Keller zu den beiden vermeintlichen Piloten zurückkehren will, blickt der völlig ahnungslose Oppenhoff in den Lauf der Pistole von Wenzel. Der zögert offenbar, sodass sein Kamerad Leitgeb die Waffe an sich reißt und abdrückt. Der an der linken Schläfe getroffene Oberbürgermeister ist augenblicklich tot. Der vor 80 Jahren begangene Mord hatte eine längere Vorgeschichte – und ein Nachspiel.

Spätestens im Januar 1945 wurde, wie der britische Historiker Ian Kershaw schreibt, auch dem Letzten im Reich klar, dass das Ende des Krieges nahte, den die Deutschen 1939 mit dem Überfall auf Polen entfesselt hatten. Das NS-Regime reagierte auf die gewohnte Weise, so Kershaw: “Es schraubte den Druck in der Heimat gewaltig in die Höhe.” Widerstand bis zuletzt, lautete die Parole. “Wer sein Leben zu retten versucht, ist mit Gewissheit, und sei es durch Urteil des Volkes, dem Tode verfallen”, verkündete etwa Adolf Hitlers graue Eminenz, Martin Bormann.

Gleichzeitig lieferten sich Bormann und andere einen absurden Wettkampf um die Gunst Hitlers. Laut Darstellung von Volker Koop griff der Reichsführer-SS Heinrich Himmler im Herbst 1944 als Erster den “Gedanken eines deutschen Partisanenkriegs gegen die Alliierten” auf. Daraus sollte letztlich die Werwolf-Organisation entstehen, die in kleinen Gruppen hinter und an den Frontlinien Angst und Schrecken beim Feind, aber auch der eigenen Bevölkerung verbreiten sollte. Allerdings wurde das Vorhaben vom Kompetenzgerangel zwischen den Nazigrößen und der Wehrmacht ausgebremst – und von der Wirklichkeit förmlich überrollt.

Aachen war die erste deutsche Großstadt, die am 21. Oktober 1944 den Alliierten in die Hand fiel. Die Amerikaner machten sich umgehend an den Aufbau einer neuen Verwaltung. Bei der Suche nach geeigneten Kandidaten sollte ihnen auch der katholische Bischof von Aachen, Johannes Joseph van der Velden, helfen. Für die Position des Oberbürgermeisters empfahl van der Velden unter anderen Franz Oppenhoff, einen bekennenden Katholiken und ehemaligen Rechtsbeistand des Bistums sowie jüdischer Firmen.

Dieser habe zweifellos gewusst, dass er und seine Familie Repressalien des NS-Regimes zu gewärtigen hatten, sollte er das Amt annehmen, schreibt Klaus Schwabe. Anders als zum Beispiel Konrad Adenauer, “der im März 1945 in ähnlicher Lage den ihm angetragenen Oberbürgermeisterposten für Köln ausgeschlagen hatte”, habe Oppenhoff jedoch seine Bedenken am Ende zurückgestellt. Am 31. Oktober 1944 wurde Aachens neuer OB im Suermondt-Museum auf eine amerikanische Bibel feierlich vereidigt.

Doch auf der Personalie lag kein Segen. Zum einen nahmen bald schon Reibereien zwischen den Amerikanern und Oppenhoff zu. Zum anderen sann kein Geringerer als Heinrich Himmler darauf, ein Exempel an dem neuen Oberbürgermeister von Aachen zu statuieren. Im Januar 1945 ging ein Schreiben bei SS-Obergruppenführer Karl Gutenberger ein, in dem von einem Todesurteil für Oppenhoff die Rede war. “Das Urteil sei durch ‘W’, also durch den Werwolf zu vollstrecken”, so Volker Koop. Die Operation verlief zeitweilig unter dem Decknamen “Karneval”, vermutlich ein Hinweis auf den ursprünglich geplanten Tatzeitpunkt. Mit der Ausführung wurde SS-Untersturmbannführer Herbert Wenzel betraut: In den Wirren der finalen Kriegsphase dauerte es zum Ärger Himmlers allerdings noch bis zur Realisierung.

Während Oppenhoff im Februar düstere Vorahnungen äußerte – “Irgendwo steht schon der Fallschirmspringer bereit, der den Auftrag hat, mich zu töten” – liefen im Hintergrund die Vorbereitungen für den Mord. Ein erbeuteter Bomber der US-Armee brachte das aus Wenzel, Leitgeb und mehreren anderen Personen bestehende Mordkommando am 19. März schließlich hinter die feindlichen Linien, wo die Gruppe über belgischem Grenzgebiet absprang und sich dann durch den dichten Wald nach Aachen durchschlug. Die letzten Stunden im Leben des Franz Oppenhoff hatten begonnen.

Am 26. März 1945, einen Tag nach dem gewaltsamen Tod Oppenhoffs, teilte die Aachener Stadtverwaltung mit, dass der Oberbürgermeister “feigen Meuchelmördern” zum Opfer gefallen sei. Die NS-Presse dagegen feierte die Mordtat als “Warnung an alle diejenigen, die sich etwa auf ähnliche Weise dem Feinde verkaufen wollen”. Goebbels verzeichnete in seinem Tagebuch die aus seiner Sicht erfreulichen Nachrichten aus Aachen. Trotzdem arbeiteten die Werwölfe ihm noch zu schwerfällig. “Ich werde beim nächsten Vortrag beim Führer evtl. versuchen, mir selbst diese Organisation anzueignen.”

Vor allem nach außen bauschten Goebbels und Co den Mord am Aachener Oberbürgermeister als Werwolf-Aktion auf. Mit gewissem Erfolg: Eine zeitlang geisterte unter den Alliierten die Vorstellung herum, in den von ihnen eroberten Gebieten könnten vor allem fanatische Hitlerjungen hinterrücks angreifen. Mit Blick auf die prominente Rolle Himmlers, die Täter und die Logistik kommt Volker Koop jedoch zu dem Schluss: “Es war ein vom Reichsführer-SS in Auftrag gegebener Mord durch die SS.”

Die Täter kamen nach dem Krieg mit äußerst glimpflichen Urteilen davon – bis auf Leitgeb. Er trat bei der Flucht auf eine Mine. Der Name Oppenhoff steht dagegen auch für jene Politiker, die rechter Gewalt zum Opfer fielen. Die beklemmende Liste reicht bis zum Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der 2019 von einem Rechtsextremisten erschossen wurde.