Durch Bomben fiel die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche vor 80 Jahren in Schutt und Asche. Heute sind die neoromanische Turmruine und der benachbarte Neubau im Stil der Nachkriegsmoderne ein markantes Wahrzeichen Berlins.
Mit einer Reihe von Luftangriffen auf die Reichshauptstadt wollte der britische Luftmarschall Arthur Harris vor 80 Jahren Hitler-Deutschland zur Kapitulation zwingen. Das gelang zunächst nicht, auch wenn es in den damaligen Wintermonaten in Berlin tausende Menschen das Leben kostete und hunderttausende obdachlos machte. Daran erinnert vor allem die Ruine der am 22. und 23. November 1943 zerstörten Charlottenburger Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche – und an die Schrecken eines jeden Krieges.
Heute gehören die gesicherten Relikte des früheren Gotteshauses und der anfangs umstrittene, moderne Neubau anbei zu den Wahrzeichen der Hauptstadt. Das hatten sich die Hohenzollern vor rund 130 Jahren wohl auch erhofft, aber in ganz anderem Sinne. Wilhelm II., Deutschlands letzter Kaiser, ließ den imposanten Bau in neoromanischem Stil zu Ehren seines Großvaters Wilhelm I. errichten, der mit der Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs 1871 das Staatsoberhaupt geworden war.
Den Auftrag zum Kirchenbau hatte Franz Schwechten (1841-1924) erhalten. Der aus Köln stammende Architekt orientierte sich an den romanischen Kirchen seiner Heimat wie dem Bonner Münster. So schuf er einen Sakralbau, der mit einem Hauptturm und vier kleineren die gründerzeitlichen Gebäude seines Umfeldes dominierte. Aufwändig gestaltete Mosaike im Inneren, die noch heute zu besichtigen sind, glorifizierten die Taten des Herrschers, dem die Kirche gewidmet war.
Insgesamt ist von dem einst prunkvollen Bau jedoch nur noch wenig übrig. Bei einem der schwersten britischen Bombenangriffe auf Berlin fiel auch die Gedächtniskirche in Schutt und Asche. So blieb es 13 Jahre, bis die einsturzgefährdete Chorruine abgebrochen wurde und nur ein Turmstumpf erhalten blieb. Ein neues Gotteshaus sollte dazu beitragen, den Beginn einer neuen Zeit zu markieren. Der Entwurf dazu kam von Egon Eiermann, der den Wettbewerb gewonnen hatte. Er hatte sich bereits als einer der prägendsten Architekten der Wiederaufbaujahre profiliert.
Eiermanns Pläne sahen den vollständigen Abriss der alten Bausubstands hervor – und lösten damit eine leidenschaftliche öffentliche Debatte aus. Das Ergebnis war der bis heute sichtbare Kompromiss: Die Ruine des Hauptturmes mit Vorhalle blieb nach ihrer Sicherung als Mahnmal gegen den Krieg erhalten und wurde durch Eiermanns markante Neubauten flankiert.
So entstanden ein achteckiges Kirchenschiff mit angebautem rechteckigen Foyer sowie ein sechseckiger neuer Turm und eine ebenfalls rechteckige Kapelle. Die kantigen Bauformen kontrastieren stark mit dem rußgeschwärzten Relikt aus wilhelminischer Zeit. Weit mehr noch bleibt dem Besucher der Raumeindruck des neuen Hauptbaus in Erinnerung. Ihn dominieren gerasterte Wänden mit über 20.000 ultramarinblauen Glasfenstern, die das Innere auf einzigartige Weise erleuchten. Zur Atmosphäre trägt bei, dass die doppelwandige Konstruktion den Lärm des Straßenverkehrs abhält, der um das Ensemble kreist. Nachts erscheint die Fassade auch von außen blau, weil sie von innen künstlich erleuchtet wird.
Das ungewöhnliche Ensemble lässt sich als Sinnbild für die Brüche der jüngsten deutschen Geschichte deuten und lockt täglich mehrere tausend Besucherinnen und Besucher an. Auch die religiösen und kulturellen Angebote der Kirchengemeinde mit Mittagsandachten und Abendmusiken trugen dazu bei, dass die Gedächtniskirche ein Ziel von Touristen aus aller Welt wurde.
Im Dezember 2016 erlangte die Gedächtniskirche wieder traurige Berühmtheit. Damals wählte der Terrorist Anis Amri den um das Ensemble gruppierten Weihnachtsmarkt für sein Attentat mit einem geraubten LKW. Nun erinnert als Mahnmal ein goldener Riss an den Treppenstufen zur Kirche an die Tat, die 13 Menschen tötete sowie ungezählte bis heute körperlich und seelisch verletzte.
Nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel ist die Gedächtniskirche nun erneut ein Ort der Trauer und der Mahnung zur Gewaltlosigkeit: Dort gibt es jetzt sonntags regelmäßig Gebete um Frieden im Nahen Osten “in Solidarität mit Israel sowie Jüdinnen und Juden weltweit”.