“Negus Negesti”, “Löwe von Juda”, “Auserwählter Gottes”: Die vielen Titel von Haile Selassie I. sind mindestens ebenso schillernd wie manche Geschichten, die über den letzten äthiopischen Kaiser in Umlauf sind.
Vielleicht spürte er das bevorstehende Ende. “Wenn wir für dich, Äthiopien, nicht getan haben, was wir tun konnten, soll uns der Allmächtige Gott bestrafen”, murmelte der letzte äthiopische Kaiser Haile Selassie I. in der Nacht des 27. August 1975 . “Tränen rannen ihm die Wange herunter”, erinnerte sich sein Diener Eshetu Tekle-Mariam. Am Morgen darauf sollte er den Kaiser wieder sehen. Haile Selassie lag leblos in seinem Bett. “Sein Gesicht war dunkelblau”, so der Diener. Im Raum habe es durchdringend nach Äther gerochen.
Hatte das Militärregime um den neuen starken Mann Äthiopiens, Mengistu Haile Mariam, den Kaiser ermorden lassen? Mit letzter Sicherheit lässt sich das 50 Jahre später nicht mehr klären – die Aussagen von Eshetu Tekle-Mariam legen es allerdings nahe. Tatsache ist: Der Tod Haile Selassies beendete die jahrhundertelange Herrschaft einer christlichen Dynastie, die ihre mythischen Ursprünge auf den biblischen König Salomo zurückführte.
“Negus Negesti”, “Löwe von Juda”, “Auserwählter Gottes” – zahlreich waren die Titel des Herrschers. Und im Lauf seiner langen Regentschaft erlebte der 225. Nachfolger Salomos Höhen und Tiefen. Geboren am 23. Juli 1892 unter dem Namen Tafari Makkonen als Sohn des kaiserlichen Gouverneurs (“Ras”) Makonnen Walda Mikael, setzte er sich während der 1920er Jahre in den Wirren um die Thronfolge gegen seine Mitbewerber durch und leitete einen Modernisierungskurs ein, der vor allem die Einheit des in viele Ethnien zersplitterten Staatswesens vorsah. Nach dem Einmarsch der italienischen Armee in Äthiopien verließ er 1936 seine Heimat und kehrte erst 1941 mit Unterstützung britischer und französischer Truppen zurück.
Im Ausland genoss der spätere Mitbegründer der Organisation Afrikanischer Staaten als Regierungschef einer der ältesten Nationen Afrikas hohes Ansehen. Der noch jungen und vom Zweiten Weltkrieg gezeichneten “Bonner Republik” gelang mit dem Empfang Haile Selassies als erstem Staatsgast 1954 ein diplomatischer Coup. Entsprechend nervös war das deutsche Empfangskomitees, das sich am 8. November an Gleis 1 des Bonner Hauptbahnhofs aufbaute.
Glaubt man den zeitgenössischen Berichten, so herrschte im deutschen Tross bis kurz vor Ankunft des kaiserlichen Sonderzuges ein Gerangel um die besten Plätze – und wohl auch eine gewisse Portion Lampenfieber. Bundespräsident Theodor Heuss “ist ein wenig blass, seine Zigarre fehlt”, notierte ein Reporter.
Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) hingegen soll während der viertägigen Visite des Kaisers langatmige Besprechungen gern mit einem rheinisch eingefärbten “Ich muss jetzt zum Negus, meine Herren” abgekürzt haben. Dessen dichtgedrängtes Besuchsprogramm sah unter anderem die Besichtigung der romanischen Doppelkirche von Schwarzrheindorf bei Bonn sowie des Kölner Doms vor. Hier hinterließ der schmächtige Herrscher mit der hohen Stirn und dem durchdringenden Blick einen “kostbaren äthiopischen Teppich, der als Weihegabe zunächst vor dem Hochaltar ausgebreitet wurde”, wie ein Chronist vermerkte. Ein Stück weniger im angeblich 5.000 Kilo schweren Gepäck des Kaisers und seines Gefolges.
Nur gute fünf Jahre nach dem triumphalen Empfang in Bonn begann indessen für Haile Selassie, der die Macht nicht aus der Hand geben wollte, mit einem ersten Putschversuch die Zeit des Niedergangs. Es folgten Studentenunruhen, Hungerkrisen und weitere Aufstände des Militärs, die schließlich am 12. September 1974 in seine Entmachtung mündeten. Knapp ein Jahr später starb der “erhabene Wohltäter” in seinem Palast.
Bis heute ist Äthiopien nicht zur Ruhe gekommen. Haile Selassies Großneffe Asfa-Wossen Asserate zeigt sich deswegen überzeugt: In der Rückschau würden dessen Verdienste mehr Gewicht erhalten “als die großen Fehler, die er zweifelsohne besaß”. Ein bizarres Nachleben bescherte dem Monarchen eine religiöse Bewegung auf den karibischen Inseln. Die vor allem durch die Reggae-Musik bekannt gewordenen “Rastafari” leiteten ihre Bezeichnung vom ursprünglichen Namen und Titel des letzten äthiopischen Kaisers ab.