Die Linke feiert ein überraschendes Comeback. Besonders bei jungen und muslimischen Wählern konnte sie punkten. Doch was heißt das jetzt für die Arbeit im Bundestag? Und wie geht es mit der “Mission Silberlocke” weiter?
Die Linken waren mit 8,8 Prozent der Überraschungssieger bei der Bundestagswahl. Die Partei punktete besonders bei jungen Menschen: Jeder vierte Wähler zwischen 18 und 24 Jahren gab den Linken seine Stimme, 27 Prozent der Erstwähler. Unter den muslimischen Wählerinnen und Wähler votierten mit 29 Prozent die meisten für die Linken. Was bedeutet das für die Politik der Linken im Bundestag, der sich am Dienstag konstituiert?
Luke Hoß zieht für die Linken mit 23 Jahren als Jüngster unter den 630 Bundestagsabgeordneten ins neue Parlament ein, parallel studiert er Jura in Passau. Als Vorbild versteht er sich weniger: “Ich glaube, es braucht nicht unbedingt Vorbilder, sondern eine Politik, die junge Menschen ernst nimmt”, sagt er auf Anfrage. Beim Sondierungspapier von Union und SPD könne er das nicht erkennen. Seine Social-Media-Kanäle will er auch dafür nutzen, politische Entscheidungen und Abläufe transparenter zu machen. Dazu gehöre auch, den Einfluss von Reichen und Konzernen zu begrenzen: Der Mann mit dem für seine Generation typischen Oberlippenbart gibt sich kämpferisch.
Ähnlich wie andere Parteikollegen kündigte er an, seine Abgeordneten-Diät auf 2.500 Euro im Monat zu begrenzen: “Weil ich finde, dass auch oder vielleicht sogar vor allem Politiker und Politikerinnen spüren sollten, ob die Preise für Butter oder die Miete schon wieder erhöht wurden.” Der Rest soll an soziale Initiativen, seine Partei oder an Menschen in Not gehen, die in der Hilfesprechstunde der Linken in seinem Wahlkreis um einen Zuschuss bitten – beispielsweise für die Reparatur der Waschmaschine.
Für den Leipziger Demokratieforscher Gert Pickel haben verschiedene Faktoren zum überraschend hohen Wahlergebnis der Linken geführt. Einerseits die mit Witz und Selbstironie geführte Kampagne in den Sozialen Medien, vor allem auf Tiktok, wo bislang nur die AfD dominant gewesen sei. Außerdem habe die Linke mit ihren migrationsoffenen Positionen in klarem Kontrast zu den anderen Parteien gestanden, erläutert der Soziologe. “Dadurch konnte man tatsächlich gerade unter jüngeren Leuten durchaus punkten.” Die Linke habe zudem als einzige Partei im Wahlkampf Themen statt Köpfe plakatiert: hohe Mieten und Lebenshaltungskosten, niedrige Renten. “Es sind die Themen, die uns an den Haustüren der Menschen genannt wurden”, erklärt Hoß. Sie beträfen Junge wie Alte.
“Das ist eine wichtige linke Politik, die man tatsächlich bei der SPD nur mit Mühe finden konnte und die auch bei den Grünen ein wenig untergegangen ist”, sagt Pickel. Das deckt sich mit einer Umfrage von Infratest dimap, wonach 95 Prozent der Linke-Wählenden angaben, dass die Partei eine gute Alternative für alle ist, die sich bei SPD und Grünen nicht mehr aufgehoben fühlen. Etwa genauso viele stimmten der Aussage zu: “Bemüht sich am stärksten um sozialen Ausgleich.”
Und wie erklärt sich der Zuspruch von den Muslimen? Bodo Ramelow, der voraussichtlich künftige religionspolitische Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion, sagt auf Anfrage: “Muslime wie auch Migranten fühlen sie sich in der Gesellschaft und Politik häufig nicht vertreten. Ich sehe uns da in der Pflicht, aus deren Brille auf unser Land zu gucken.” Es gehe um Förderung von Toleranz.
Im Wahlprogramm sprach sich die Partei gegen ein Verbot religiös motivierter Bekleidung aus, Stichwort Kopftuchverbot. Ramelow betont, Frauen sollten selbst darüber entscheiden – und nicht der Ehemann. “Wir haben sehr unterschiedliche Ausprägungen in den muslimischen Communities und wenn da die Frage der Gleichberechtigung von Frauen unter die Räder kommt – dann muss man darüber reden.” Außerdem fordern die Linken einen Beauftragten für muslimisches Leben und gegen antimuslimischen Rassismus; das muslimische Zuckerfest soll gesetzlicher Feiertag in Deutschland werden. “Ich bin sicher, dass wir da auch mit den religionspolitischen Sprechern der anderen Parteien ins Gespräch kommen – es geht schließlich um Respekt und Toleranz gegenüber anderen Religionen.”
Zusammen mit Gregor Gysi und Dietmar Bartsch hatte Ramelow im Wahlkampf die “Mission Silberlocke” ins Leben gerufen. “Wir Silberlocken werden zusammen auch weiter digital aktiv sein”, kündigte Ramelow an. Daneben verstünden sich die drei als Brückenbauer zwischen den Generationen: “Wir müssen zwischen Alt und Jung auch einen Lernprozess organisieren. Wir müssen voneinander lernen und einander zuhören.”