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Vom „heiligen Zorn“ zu Feindschaft und Gewalt

Wut und Empörung haben ihre Berechtigung. Sie können Mut und gewaltige Energie freisetzen. Aber Vorsicht: Der Weg vom „heiligen“ Zorn zum „heiligen“ Krieg ist kurz.

Weil Gott es will? – Der Weg vom „heiligen Zorn“ zum „heiligen Krieg“ ist kurz
Weil Gott es will? – Der Weg vom „heiligen Zorn“ zum „heiligen Krieg“ ist kurzGrafik: evangelische-zeitung.de / TSEW

Manchmal möchte man doch einfach … grrr! Wenn die Seele schäumt, wenn Körpersäfte kochen, dann ist es schnell um die Beherrschung geschehen. Ein unbedachtes Wort, ein Blick; irgendetwas, das einen Schalter in einem umlegt (mich „triggert“), und man würde am liebsten mit dem Hammer draufhauen.

Wut und Empörung haben ihre Berechtigung; sie erfüllen Ventil-Funktionen für die menschliche Psyche. Gar nicht gut ist es, wenn man solche Emotionen unterdrückt. Umso wichtiger, dass man richtig mit ihnen umgeht.

Nun gibt es eine Form der Erregung, die sich „heiliger Zorn“ nennt. Gemeint ist damit eine Empörung, die sich für eine gerechte Sache einsetzt und aus einem tiefen Gefühl der Ungerechtigkeit entsteht. Der „heilige Zorn“ kann gewaltige Energie freisetzen, Mut und Durchhaltevermögen. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA um Martin Luther King war ein Beispiel dafür.

Gibt es einen „heiligen“ Zorn? Einen, der Gott gefällt?

Das Problem: Wer legt fest, was „heilig“ ist? Gerecht? Gott gefällig? Über diese Frage diskutieren, verhandeln und streiten die Christinnen und Christen von Anfang an. Wenn dann der Zorn dazukommt, wird es gefährlich. Welche Musik im Gottesdienst? Waffen in Kriegsgebiete? Christen in der AfD? Fronten verhärten sich. Menschen beschimpfen und verdammen einander.

Viel zu oft wird aus dem heiligen Zorn dann: heiliger Krieg. Die Kirchengeschichte ist voll von bluttriefenden Beispielen.

Die Bibel kennt auch bei Jesus Zorn, etwa bei der Tempelreinigung. Noch viel öfter erzählt sie aber von seiner Sanftmütigkeit, den Aufrufen zur Feindesliebe. Und seiner bedingungslosen Zuwendung gerade zu den Menschen, die sich falsch verhalten. Die Frage mag erlaubt sein, wie wir heute von dem Wanderprediger aus Galiläa („Gottes Sohn“) denken würden, wenn er nicht liebend, sondern Peitsche schwingend durch die Evangelien gezogen wäre.

Besser: kurz innehalten und einmal tief Luft holen

Kann Zorn „heilig“ sein? Die Frage muss jede und jeder für sich selbst beantworten – und dabei die Gefahr bedenken, die stets im Hintergrund lauert: Wenn Menschen ihren Zorn als „heilig“ absegnen lassen; wenn der heilige Zorn der einen Seite dann auf den heiligen Zorn der anderen Seite trifft – dann ist der Weg zu Feindschaft und Gewalt nicht weit.

Wer also das nächste Mal „heiligen“ Zorn in sich aufsteigen spürt, sollte vielleicht kurz innehalten, tief Luft holen – und sich fragen: Was ist das „Heilige“ an meinem Zorn? Helfen Wut und Empörung dabei weiter? Mag sein, dass sie im Moment notwendig erscheinen – mag aber auch sein, dass sie Brücken abbrechen und die Dinge noch schlimmer machen.