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Volk und Nation

Diskutiert wird heute: Hat die Zugehörigkeit zu einem Volk ethische Bedeutung? Sind Nationalstaaten Gebilde von gestern? „Volk“ und „Nation“ sind schwierige Begriffe.

Von Konrad Raiser

Diskutiert wird heute: Hat die Zugehörigkeit zu einem Volk ethische Bedeutung? Sind Nationalstaaten Gebilde von gestern?

„Volk“ und „Nation“ sind schwierige Begriffe. Sprachlich bedeutet „Volk“ nichts weiter als „viele“ Menschen. „Nation“ (vom lateinischen „natus“ abgeleitet) verweist auf die Geburt und die Herkunft von Menschen in einem bestimmten Gebiet. Doch die Bedeutung dieser Begriffe hat sich im Laufe der Geschichte mehrfach gewandelt. In Deutschland sind sie durch ihren Gebrauch oder vielmehr Missbrauch im Nationalsozialismus schwer belastet. So wie sie heute verwendet werden, scheinen sie manchmal dasselbe und manchmal etwas Verschiedenes zu bedeuten. „Wir sind das Volk“, haben die Demonstranten von Leipzig im Herbst 1989 gerufen. Sie wollten damit zum Ausdruck bringen: Wir alle sind die, die in unserem Land das Sagen haben. Die Partei, die sich anmaßt, im Namen des Volkes zu handeln, ist es nicht. Der Begriff „Volk“ im Munde der Demonstranten meinte damit im Grunde das Gleiche, was seit der Französischen Revolution „Nation“ genannt wird. „Nation“ wurde in dieser Zeit zu einem politischen Begriff. Er brachte die Souveränität (Selbstbestimmungsmacht) des Volkes, welches die Herrschaft des Staates trägt, gegenüber der Monarchie zum Ausdruck. Das haben auch die Demonstranten von Leipzig getan – diesmal gegenüber der Herrschaft einer Staatspartei.

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