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Viele befürchten das Schlimmste

Das Land ist im Krieg. Es geht um Rohstoffe, um Geld und Macht. Gewalt gegen Frauen ist Mittel der Kriegsführung. Dass die Welt dazu schweigt, beklagt Martin Domke, der jetzt dort war

picture alliance / Jürgen Bätz

Die Lage im Kongo spitzt sich zu und es gibt kaum Hoffnung auf Verbesserung. Das hat Pfarrer Martin Domke, Leiter des Eine-Welt-Zentrums in Herne, jetzt bei einer Reise in das zentralafrikanische Land erfahren. Domke leitete zusammen mit Traugott Jähnichen, Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Bochum, eine Delegation, die Partnerkirchen wie die Baptistische Kirche in Zentralafrika (CBCA) und die Presbyterianische Kirche (EPR) besuchte. Die Theologen aus Deutschland und der Schweiz nahmen – neben Besuchen von Universitäten im Ostkongo – auch an einer internationen Konferenz in Kooperation mit dem „Dietrich-Bonhoeffer-Zentrum für Öffentliche Theologie in Zentralafrika“ in Kigali, der Hauptstadt Ruandas, teil. Über Hintergründe des Konflikts im Kongo und die dortige Menschenrechtslage stand Martin Domke Annemarie Heibrock Rede und Antwort.

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind innerhalb der Demokratischen Republik Kongo zur Zeit 4,5 Millionen Menschen auf der Flucht vor Gräueltaten und Kämpfen zwischen Rebellen, Milizen, Polizeieinheiten und Regierungstruppen. Im Südosten des Landes gibt es auch Kämpfe zwischen verschiedenen Volksgruppen. Wie haben Sie die Lage jetzt erlebt?
Während wir im Ostkongo unterwegs waren, wurden zwei Dörfer überfallen, es hat mindestens 26 Tote und eine größere Anzahl an Verletzten gegeben. In den Städten Goma und Bukavu haben wir davon nichts mitbekommen, aber auch dort grassiert die Angst vor Überfällen, es gibt immer wieder nächtliche Exekutionen und tödliche Plünderungen. Der Kongo hat wohl die inzwischen größte Anzahl an internen Flüchtlingen weltweit. Aber selbst die UNO mit ihrem größten Friedenseinsatz aller Zeiten ist relativ machtlos. Die Menschen sind einfach müde und erschöpft, es geht nur noch ums Überleben, auch in den Städten.

Worum geht es denn genau in dem Konflikt?
Ums Geld. Damit meine ich nicht einfach nur die wichtigen Rohstoffe, das natürlich auch. Infolge der maßlosen Plünderung der Rohstoffe werden Unmengen an Geld verschoben, verdient, und auch erkämpft, die Dimension ist einfach gigantisch. Es ist zwar immer die Rede von ethnischen Konflikten. Aber das ist eine Verschleierung durch eine weltweite Nachrichtenindustrie, die von den eigentlichen Ursachen ablenken will. Und die liegen im erklärten Willen aller beteiligten Akteure, sich nicht in die Karten gucken zu lassen. In den meisten Fällen gibt es keine ethnischen Konflikte, und wenn, dann sind sie meistens gezielt geschürt.
 
Rohstoffe, Geld – geht es noch um mehr?…
Ja. Es geht auch um die Kontrolle riesiger Land- und vor allem Waldflächen. Vor allem sind chinesische Firmen im Geschäft. Da zählen keine Menschenrechte. Die internationalen Regelwerke zu einer transparenten Rohstoffkette sind da ziemlich wirkungslos.

Ganz besonders in der Kritik steht Präsident Joseph Kabila, der ohne Mandat regiert und sich weigert, von der Macht zu lassen. Breite Bevölkerungskreise werfen ihm Misswirtschaft, Korruption und Machtmissbrauch vor…
Kabila ist kein Politiker, sondern versorgt seinen Clan. Das gesamte politische Umfeld im Regierungssystem ist diesem Interesse untergeordnet. Der jetzt festgelegte Wahltermin am 23. Dezember dieses Jahres wird mit Sicherheit wieder unterwandert, und das womöglich mit viel Gewalt. Viele befürchten das Schlimmste.

Wie ist die Rolle der christlichen Kirchen? Immerhin war die katholische Kirche an der Entwicklung eines Plans zur Lösung der Staatskrise beteiligt. Andererseits wurde erst im Februar eine Demonstration regierungskritischer Katholiken in Kinshasa von Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen.
Der vermeintliche Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten ändert sich vielleicht gerade. Auch die Protestanten hatten einen (selbst gewählten) Oberbischof, der nur mühsam zur Amtsaufgabe genötigt werden konnte. Jetzt hat es mit dem Nachfolger offenbar eine Annäherung gegeben. Es stimmt, dass die Katholische Laienbewegung (nicht die Kirche!) den Ton angibt, aber unter den Protestierenden sind nicht wenige auch – protestantisch.

Die Krise im Kongo zählt zu den „vergessenen Konflikten“, über die im vergangenen Jahr am wenigsten berichtet wurde. Das heißt: Die Weltöffentlichkeit schweigt zu der Gewalt in dem zweitgrößten Flächenstaat Afrikas. Das ist, so sagt der Menschenrechtsaktivist Denis Mukwege, Träger des Alternativen Nobelpreises und des Sacharow-Preises der Europäischen Union, ein unhaltbarer Zustand. Sie sind jetzt mit ihm zusammengetroffen. Was ist seine Botschaft an die Welt?
Denis Mukwege ist vor allem enttäuscht und entrüstet. Seine Preise, die er erhalten hat, bedeuten ihm nichts, solange es keine Bewegung zu mehr Gerechtigkeit gibt. Gerade angesichts der einsetzenden Elektro-Mobilitätswende mit dem enormen Bedarf an Cobalt befürchtet er eine neue Dimension der Ausbeutung des Landes. Die Weltöffentlichkeit, so sagt er, müsse endlich gegen die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen vorgehen.

Mukwege, der sich als Gynäkologe vor allem um vergewaltigte Frauen und Mädchen kümmert, prangert auch die Gewalt an Frauen an…
Ja, er hat einen nachdrücklichen Appell an die Kirchen besonders in Europa geschickt, endlich das Schweigen zu brechen angesichts der Gewalt gegen Frauen, die als Mittel der Kriegsführung nur eins ist: Kriegsverbrechen. Die sexualisierte Gewalt wird als strategisches Mittel zur Zerstörung aller Grundlagen der Gesellschaft angewendet. Das will aber keiner hören, denn dann müsste auch die Internationale Gemeinschaft eingreifen.

Was sind Ihre Hoffnungen? Gibt es im Kongo die Chance auf eine friedliche Zukunft? Und was muss dafür getan werden?
Um es mit den Worten des Büroleiters der UNO-Truppen in Goma auszudrücken: „Vergessen Sie alles, was Ihnen im Blick auf den Kongo als Perspektive oder Hoffnung untergejubelt wird. Es gibt keine Hoffnung, solange das weltweite Kapital daran interessiert ist, ohne Umwege an die Rohstoffe zu kommen, die für die Produktion von Konsumgütern gebraucht werden“. Ich habe in 30 Jahren noch nie eine so kompromisslos pessimistische Einschätzung der Lage gehört.
Aber ich erlebe auch, dass in dieser Lage unsere Partnerkirchen alles daransetzen, Frieden und Verständigung zu leben, einzuüben und zu fordern. Unsere Aufgabe bleibt, diesen Forderungen bei uns Nachdruck zu verleihen.