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Vergessene Schätze aus den Trümmern des Weltkriegs

In den Jahren des Zweiten Weltkriegs traf der Pfarrer der katholischen Mainzer Emmeran-Kirche eine fatale Fehlentscheidung. Zur Vorsorge vor möglichen Bombenangriffen ließ er den prächtigen Kirchenschatz aus heute unerklärlichem Grund nicht etwa in der Krypta einlagern, sondern ausgerechnet im Turm. Als ein britischer Fliegerverband am 27. Februar 1945 mehr als 500.000 Bomben auf die Stadt regnen ließ, brannte der komplett ab – so wie nahezu das gesamte alte Mainz. Nur ein einzelnes Messingtablett konnte im Anschluss verbeult aus den Trümmern geborgen werden. 80 Jahre nach der Zerstörung der Stadt widmet sich das Dom- und Diözesanmuseum den im Krieg verloren gegangenen Mainzer Kulturgütern.

Eine Sonderausstellung unter dem Titel „Vom Bombenkrieg gezeichnet“ bietet einen Blick zurück auf das historische Mainz mit seinen engen Gassen und Fachwerkhäusern. Sie zeigt zahlreiche, teils spektakuläre Überreste der zerstörten Pracht. Viele Schätze waren bereits nach dem ersten schweren Bombenangriff im Sommer 1942 an verschiedenen Orten gesichert worden – anfangs von den Verantwortlichen penibel dokumentiert, später nur noch mit einigen handschriftlichen Notizen versehen. „Irgendwann hat keiner mehr den Überblick gehabt“, berichtet Museumsdirektor Winfried Wilhelmy. Offenbar standen auch die Arbeiter unter enormem Zeitdruck. Der Abbau des Hochaltars von St. Emmeran etwa musste wohl so schnell vonstattengehen, dass sie die kostbaren Holzrahmen einfach zersägten oder aufbrachen.

Denkmalpfleger und Kirchenleute hatten in den Jahren nach 1945 ihre liebe Mühe, die Reste der bewahrten Kunstwerke wieder zusammenzusuchen und zuzuordnen. Im Mainzer Umland hatte das Bistum mehrere Gebäude als Lager übernommen. Die seien so sehr mit Kunst aus zerstörten Kirchen zugestellt worden, dass Menschen sich kaum noch in die Räumlichkeiten hätten hineinzwängen können.

Im Laufe der Jahre machten Mitarbeiter des Dommuseums immer wieder spektakuläre Funde in den Magazinen. Wilhelmy selbst entdeckte in einer Abstellkammer 400 vergessene Gemälde. „Die waren alle ganz schwarz“, erzählt er. Im Zuge der Arbeiten für die Sonderschau wurde die Bedeutung einiger Artefakte neu erkannt – etwa das Fragment eines romanischen Säulenpfeilers mit kunstvoll herausgearbeiteter Affenfigur, die wohl einst das Grabmahl des Heiligen Bardo im Mainzer Dom zierte. In Vergessenheit geriet auch eine kunstvolle Bleimaske vom Mittelturm des Doms, die lange in der Steinhalle der Dombauhütte lag und wohl den Wind symbolisieren sollte. Obwohl der Dom selbst die Bombenangriffe kaum beschädigt überstand, hatte sich die Maske doch durch die ungeheure Hitze der Brände in der Nachbarschaft verformt.

In der Sonderausstellung sind auch eine Reihe von „Hausmadonnen“ und steinernen Heiligen zu sehen, die die Portale von Mainzer Altstadthäusern zierten. Über 200 solcher Hausfiguren gab es einst in dem von Fachwerkhäusern dominierten historischen Stadtkern. Die Steinmetzarbeiten präsentiert das Museum auf Holzpaletten, die an ein Museumsdepot erinnern sollen. Wo immer möglich, gibt es dazu passende Fotos oder historische Filmaufnahmen aus der Zeit vor der Zerstörung.

Zu Beginn der mehrjährigen Planungen habe er nicht geahnt, wie aktuell das Thema der Ausstellung im Jahr 2025 werden würde, räumt Wilhelmy ein. Er wünsche sich, dass Besucher verinnerlichten, wie wichtig der Grundsatz „Nie wieder Krieg“ auch für die Gegenwart bleibe.