Die Rückkehr der Eisernen Lunge? Seit 70 Jahren wird in den USA gegen Polio geimpft. Unter dem neuen Gesundheitsminister Kennedy wackelten die Impfprogramme zuletzt. Zwei tragische Fälle könnten aber die Wende bringen.
Robert F. Kennedy Jr. gehört zweifellos zu den umstrittensten Berufungen von US-Präsident Donald Trump in sein Kabinett – und das will etwas heißen. Der Spross der berühmten Kennedy-Familie präsentiert sich mit seinen 71 Jahren gern als topfit, gesund und vor allem: ganz natürlich. Letzteres klingt erstmal positiv, geht bei Kennedy aber einher mit einer strikten Ablehnung großer Teile der modernen Medizinforschung, besonders von Impfungen. Diese seien unter anderem verantwortlich für eine wachsende Zahl an Autismus-betroffenen Kindern im Land – eine immer wieder widerlegte und doch extrem langlebige Falschbehauptung.
Nun ist Kennedy tatsächlich US-Gesundheitsminister geworden – trotz großer Proteste auch aus Trumps republikanischem Lager. Der neue Minister hatte schon im Wahlkampf, in dem er zunächst als unabhängiger dritter Kandidat auftrat, keinen Hehl daraus gemacht, dass er Impfprogramme auf den Prüfstand oder sogar ganz abstellen wollte. Darunter fällt auch die Impfung gegen das Polio-Virus, in Deutschland auch unter dem Namen Kinderlähmung bekannt. Das hat eine besondere Tragik, jährt sich in diesem Jahr doch die Zulassung der Polio-Impfung in den USA zum 70. Mal.
Am 12. April 1955 gab die damalige US-Regierung unter Präsident Dwight D. Eisenhower den von Jonas E. Salk entwickelten Polio-Impfstoff frei. Der Mediziner hatte zuvor jahrelang geforscht und sich auf Impfstoffe gegen Influenza, Masern und eben Polio fokussiert. Im Labor in Pittsburgh experimentierte er vor allem an Totimpfstoffen. In einer bis dahin beispiellosen Studie mit über einer Million Teilnehmern gelang es Salk zu belegen, dass auch tote Polio-Viren eine Immunisierung bewirken können – im Gegensatz zu den bis dahin gebräuchlichen Lebendimpfstoffen, bei denen lediglich abgeschwächte Erreger verabreicht wurden. Anfang 1955 veröffentlichte er seine Forschung, kurz darauf wurde der Impfstoff zugelassen.
Aufsehen erregte auch ein Interview, dass Salk kurz nach der Zulassung gab. Auf die Frage, wem der Impfstoff denn nun gehöre, antwortete er, das Patent gehöre den Menschen, denn auf Gesundheit könne kein Patent erhoben werden. Vor dem Hintergrund von zurückliegenden Diskussionen über millionenschwere Patente auf Corona-Impfstoffe eine überraschende Sichtweise.
Der Kampf gegen Polio war zur Zeit von Salks Forschung noch auf dem Höhepunkt. Erst 1952 hatte sich die bis dahin größte Polio-Epidemie in den USA abgespielt, mit fast 58.000 gemeldeten Fällen und über 3.000 Todesopfern; auch in Deutschland brach sich die Infektionserkrankung in diesem Jahr ungeahnt Bahn. Vor allem auf Kinder steckten sich an – daher der Name Kinderlähmung. Folgen können schwerwiegende und bleibende Lähmungen sein, die beim Befall der Atemmuskulatur tödlich enden konnten. Die sogenannte Eiserne Lunge, ein monströses medizinisches Gerät, in dem nur der Kopf der Erkrankten frei blieb und diesen das Weiteratmen ermöglichte, war damals ein allzu gewohnter Anblick.
Mit Salks Entdeckung setzte dann aber die Kehrtwende ein, wobei der große Durchbruch erst sechs Jahre später mit Einführung der Schluckimpfung gelang. Innerhalb kürzester Zeit sanken die gemeldeten Polio-Fälle praktisch gen Null; die Industrienationen gelten bereits seit Jahren offiziell als poliofrei.
Dennoch, global ausgerottet ist die Krankheit noch nicht. Die Globalen-Polio-Eradikations-Initiative GPEI meldete zuletzt Fälle von Erkrankungen mit den gefährlichen Wild-Polioviren in Afghanistan und Pakistan sowie von Lebendimpfstoff abgeleitete Fälle in fast allen Staaten Afrikas und in Indonesien. Sorgen bereitet zudem Gaza, wo seit dem israelischen Gegenschlag in Folge des Terrorangriffs der Hamas vom 7. Oktober 2023 nach Jahren wieder Polio-Erkrankungen gemeldet wurden.
Experten warnen nun, dass ein möglicher Rückzug der USA aus Impfprogrammen weltweit schwerwiegende Konsequenzen haben würde. Die internationale Impfallianz Gavi wäre etwa besonders stark getroffen, sollte die US-Regierung wie geplant ihre Mittel für die Entwicklungsbehörde USAID streichen. Die Bekämpfung von Polio ebenso wie von HIV würde dadurch erhebliche Rückschläge erleiden, die von anderen Staaten kaum kompensiert werden könnten.
Zwar hat das Oberste US-Bundesgericht nun zunächst mit knapper Mehrheit verfügt, dass bereits bewilligte Gelder für Auslandshilfen freigegeben werden müssen. Die zukünftige Gestaltung der Entwicklungshilfe ist aber weiter offen und unsicher.