Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sieht die Meinungsfreiheit verletzt, wenn ein vor Gericht unterlegener Presseverlag auch für ein unverhältnismäßig hohes anwaltliches Erfolgshonorar des Klägers aufkommen muss. Allerdings muss das Medienunternehmen bei einem verlorenen Rechtsstreit zu einer persönlichkeitsrechtsverletzenden Berichterstattung damit rechnen, dass es für die Versicherungsprämien des Klägers aufkommen muss, die dessen Rechtskostenrisiko voll abdecken, wie der EGMR am Dienstag in Straßburg mitteilte. (AZ: 37398/21)
Konkret ging es um zwei in den Jahren 2017 und 2019 veröffentlichte Artikel der britischen Zeitungen „Daily Mail“ und „Mail on Sunday“. Im ersten Fall wurde ein libyscher Geschäftsmann in einem „MailOnline“-Artikel zu Unrecht als Verdächtiger mit dem Terroranschlag auf die Manchester Arena im Jahr 2017 in Verbindung gebracht. Bei dem Anschlag starben 22 Menschen, mehr als 800 weitere wurden verletzt.
Der Geschäftsmann verlor wegen der Presseberichterstattung seinen Arbeitsplatz. Er verklagte wegen des falschen Presseberichts erfolgreich den Herausgeber der Zeitungen, die Associated Newspapers Limited. Das Medienunternehmen wurde verpflichtet, Schadensersatz zu zahlen, darunter auch 245.775 britische Pfund für ein anwaltliches Erfolgshonorar.
Im zweiten Verfahren hatte ein klinischer Psychologe dem Zeitungsverlag Verleumdung vorgeworfen, da er mit einem Kindesmissbrauchsskandal in Verbindung gebracht wurde. Nach einem gerichtlichen Vergleich sollte der Verlag Associated Newspapers Limited über 825.000 britische Pfund an Verfahrenskosten zahlen, davon 335.160 Pfund für eine sogenannte ATE-Versicherungsprämie (After-The-Event-Versicherung). Damit kann ein Kläger sein Rechtskostenrisiko vollumfänglich abdecken, wenn er den Rechtsstreit verliert.
Der EGMR urteilte, dass im ersten Fall der Zeitungsverlag mit der Verpflichtung zur Zahlung des anwaltlichen Erfolgshonorars in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt wurde. Das anwaltliche Erfolgshonorar sei unverhältnismäßig hoch. Hohe anwaltliche Erfolgshonorare könnten das Prozesskostenrisiko für Medienunternehmen so stark erhöhen, dass sie im Zweifel auf eine Berichterstattung verzichten.
Keine Einwände hatten die Straßburger Richter, dass der Zeitungsverlag die ATE-Versicherungsprämien der beiden Kläger übernimmt. Ob diese unverhältnismäßig hoch seien, hänge vom Einzelfall ab. Wegen der Entscheidung britischer Gerichte muss das Vereinigte Königreich nun 15.000 Pfund für angefallene Kosten und Auslagen erstatten. Die Höhe der Entschädigung für die Kläger soll später bestimmt werden.