Mindestens sieben Betroffene: Die evangelische Kirche soll frühzeitig von Missbrauchsfällen im Raum Siegen-Wittgenstein gewusst haben. Wegen der Vorfälle war 2023 die EKD-Ratsvorsitzende Kurschus zurückgetreten.
Schwere Fehler im Umgang mit sexualisierter Gewalt: Die evangelische westfälische Landeskirche soll laut einer unabhängigen Untersuchung bereits in den 1990er Jahren von Missbrauchsfällen im Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein gewusst haben. Eine Überprüfung oder Meldung der Vorfälle habe es aber nicht gegeben. Zu diesem Schluss kommt die Unternehmensberatung Deloitte bei der Überprüfung von Vorwürfen gegen einen ehemaligen Kirchenmusiker, der über Jahre teils minderjährige Schüler sexuell missbraucht haben soll.
Die Ergebnisse wurden im Auftrag der Landeskirche am Dienstag in Siegen vorgestellt. Vor eineinhalb Jahren bereits war wegen dieses Falls die damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, zurückgetreten. Die Untersuchung legt nah, dass auch sie frühzeitig von den Vorfällen gewusst haben könnte. Deloitte regte eine juristische Überprüfung des Sachverhalts an.
Kurschus war am 20. November 2023 als EKD-Ratsvorsitzende und westfälische Präses zurückgetreten. Ihr wird vorgeworfen, als Gemeindepfarrerin im Raum Siegen bereits Ende der 1990er Jahre über die Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens informiert gewesen zu sein. Diese habe sie aber nicht gemeldet. Kurschus wies die Darstellung zurück, legte aber mit Hinweis auf die öffentliche Debatte ihre Ämter nieder. Laut Deloitte war sie damals zwar nicht die Dienstvorgesetzte des Beschuldigten, allerdings eine enge Freundin von dessen Ehefrau.
Laut Untersuchung gibt es in dem Fall Vorwürfe von sieben Betroffenen zwischen den 1980er Jahren und 2022. Dabei handle es sich um ehemalige Orgelschüler des Beschuldigten. Dieser habe in Gesprächen sexuelle Kontakte zu zwei Betroffenen eingeräumt, Handlungen in weiteren Fällen aber bestritten. Dem stünden die Erkenntnisse der Untersuchung entgegen. Ob die Betroffenen zu den Tatzeitpunkten minderjährig waren, sei unklar. Zudem gebe es Anhaltspunkte für weitere Annäherungen und sexuelle Handlungen im Kreise der Betroffenen.