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Unterschiedliche Meinungen zur Obergrenze für Flüchtlinge

KÖLN – Obergrenzen für Flüchtlinge sind nach Einschätzung des früheren nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtspräsidenten Michael Bertrams mit dem Asylrecht vereinbar. Der Gesetzgeber könne sehr wohl Obergrenzen für Asylbewerber ziehen, sagte Bertrams, der auch der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen angehört, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ .
Jedes Grundrecht stehe unter dem Vorbehalt, dass es im Kollisionsfall mit anderen Verfassungsnormen zum Ausgleich gebracht werden müsse, erläuterte der Jurist. Er erinnerte an den noch heute gültigen römischen Rechtsgrundsatz „Ultra posse nemo obligatur“ (Niemand kann über seine Leistungsfähigkeit hinaus in die Pflicht genommen werden). „Das gilt auch für die Flüchtlingsfrage und die Aufnahmefähigkeit des Landes“, betonte Bertrams. Merkels Aussage, das Asylrecht kenne keine Obergrenze, nannte Bertrams „schlicht falsch“.
Dagegen halten die Juristen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages eine Obergrenze für Flüchtlinge für rechtlich „problematisch“. Das geht aus einem Gutachten hervor, in dem das Recht von Asylsuchenden und Bürgerkriegsflüchtlingen im Licht des EU-Rechts untersucht wird.
Es sei „höchst zweifelhaft“, ob es gerechtfertigt sei, Flüchtlinge aufgrund einer Obergrenze in Staaten auszuweisen, in denen sie verfolgt werden, so die Experten. Die pauschale Ausweisung ganzer Gruppen ohne eine Einzelfallprüfung sei in der EU-Grundrechte-Charta zudem ausgeschlossen, heißt es weiter.
Einen „Notstandsfall“, der diese Regelung außer Kraft setzen würde, hält der Wissenschaftliche Dienst mit Blick auf die Wirtschaftskraft in der Europäischen Union ebenfalls für „höchst zweifelhaft“. In dem Gutachten wird betont, dass die EU-rechtlichen Vorgaben nationales Recht „überwölben“, dass also bei einem Konflikt das EU-Recht vorgezogen werden muss. epd/leg