Entgegen den üblichen Vorstellungen können Minderheitsregierungen für eine gesamte Legislaturperiode stabil bleiben. Das zeige ein Blick nach Skandinavien, teilte die Universität Konstanz am Montag mit. Meist werde bei einer Minderheitsregierung an wechselnde Bündnisse mit unterschiedlichen Oppositionsparteien gedacht, sagte der Konstanzer Politikwissenschaftler Sven Jochem laut Mitteilung. Diese Form sei in Skandinavien eher rückläufig. „Die Minderheitsregierungen in Nordeuropa schließen zunehmend formalisierte Abkommen mit festen Partnern in der Opposition, durchaus vergleichbar mit den Koalitionsverträgen einer Mehrheitsregierung.“ Daraus formierten sich „durchaus stabile“ Bündnisse.
Der Unterschied zur klassischen Regierungskoalition bestehe darin, dass die Bündnispartner einer Minderheitsregierung weiterhin als Opposition auftreten könnten. „Die Unterstützungspartei verzichtet zwar auf den Amtsbonus, hat dadurch aber mehr Freiheitsgrade.“
Damit eine Minderheitsregierung in Deutschland stabil funktionieren könnte, braucht es laut Jochem jedoch gewisse Rahmenbedingungen. Im „negativen Parlamentarismus“ in Dänemark, Norwegen und Schweden könne ein Gesetz verabschiedet werden, wenn nicht eine Mehrheit dagegen stimme. Enthaltungen würden nicht als Nein-Stimmen interpretiert, sondern „neutrale“ Stimmen bleiben. Eine Unterstützungspartei müsse nicht mit einer Ja-Stimme ihre Position klar ausdrücken, sondern dürfe sich hinter einer neutralen Enthaltung verstecken.
Eine Minderheitsregierung sei nicht ohne Risiko. „Es besteht immer die Gefahr, dass die Opposition gegen die Minderheitsregierung Gesetze auf den Weg bringt.“ Damit sie sich nicht von der Opposition erpressbar macht, brauche eine Minderheitsregierung eine „Exit-Strategie“, etwa die Auflösung des Parlaments als Druckmittel. Das gebe den skandinavischen Minderheitsregierungen ein wirkungsvolles Instrument in die Hand, um die Notbremse zu ziehen – oder zumindest damit zu drohen.
Entscheidend für das Funktionieren einer Minderheitsregierung ist laut Jochem auch eine Kultur des informellen Austausches zwischen Politikern verschiedener Parteien, abseits der öffentlichen Bühne. Flexibilität sei nötig. Regieren aus der Minderheit heraus sei kaum zu vereinbaren mit programmatischen „roten Linien“ aller Art. (0191/27.01.2025)