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Unerhört: 500 Jahre Reformation zwischen Mut, Glauben und Veränderung

Unerhört, mutig, richtungsweisend: Von Jesus über Luther bis zur Reformation in Görlitz – ein Blick auf Menschen und Taten, die hörbar machten, was lange überhört wurde.

Martin Luther hat die Reformation angestoßen
Martin Luther hat die Reformation angestoßenepd-bild / Jens Schlueter

Unerhört, was sich Jesus von Nazareth damals vor über 2000 Jahren in und um Jerusalem herausnahm: Mit sündigen Menschen verkehren, Kranke und Aussätzige besuchen – sich der Unerhörten annehmen. Das Reich Gottes lehren und seine besondere Beziehung zum einzigen Gott, anders als es bis dahin von den meisten gedacht, zu erklären – unerhörte Wahrheiten aussprechen.

Unerhört auch, was der Augustinermönch aus Wittenberg da 1517 angestoßen, angeschlagen hat: Disputieren mit Gelehrten, das einfache Volk an- und ihm „aufs Maul schauen“, Gottes Wort genau betrachten und in Alltagssprache übersetzen – sich der unerhörten Menschen in ihren Bedürfnissen annehmen und unerhörte Wahrheiten allen zu Gehör bringen.

Unerhört hoch zwei – Görlitz 1525

Unerhört hoch zwei, was sich der gerade erst wiedereingesetzte Stadtpfarrer Franz Rothbart am 23. April 1525 in der Krypta der Peterskirche in Görlitz erlaubte. Die Gedanken des Wittenbergers hatten an der Neiße erste Schritte gewagt und zaghaft Fuß gefasst.

In den Jahren zwischen 1521 und 1525 waren sie durch lutherische Predigten in den einfachen Gemeindegliedern gereift. Am Weißen Sonntag 1525 fanden sie ihren ersten sichtbaren Niederschlag im Empfang des Abendmahls in beiderlei Gestalt, in Brot und Wein – das unerhörte einfache Gemeindeglied in die Mitte nehmen und die unerhörte Wahrheit leiblich sichtbar machen.

Die unerhörten Schreie der Glaubensgeschichte

Die Unerhört-Schreie der Empörung schwingen in diesen lange nachhallenden Paukenschlägen der Glaubensgeschichte bis heute mit. Die Unerhörten Menschen und Wahrheiten, unerhörtes Leben, werden durch sie sichtbar. „Wer Ohren hat zu hören, der höre.“ hat Jesus mit auf den Weg gegeben und damit das Unerhörte in den Fokus gestellt (z.B. Mat 11,15). Bei genauerer Betrachtung ist die Glaubensgeschichte bis heute eine unerhört spannende Angelegenheit. An bestimmten Kulminationspunkten, wie z.B. der Reformation, wird das eindrücklich fassbar.

Eingefahrene Wege und unhinterfragte Praktiken haben verschiedene Aspekte des Lebens ausgeblendet, übersehen und überhören sie. Ein offenes Ohr für die ungehörten Lebensfragen auf der einen Seite, der Versuch diesen ungehörten Lebensfragen Gehör zu verschaffen stößt auf der anderen Seite aber auch auf Empörung und Widerstand. Jubiläen dieser Höhepunkte rücken die Frage nach dem Hören und dem, was kein Gehör findet, ins Zentrum. In Görlitz und in Teilen der Oberlausitz war unerhört viel los in diesem 500. Jubiläumsjahr der Reformation.

Bürger, Mut und Glaubenskraft

Unter dem Titel “BÜRGER.MUT.GLAUBENSKRAFT“ fanden Begegnungen zwischen Wissenschaft und Glauben, Kunst und Verkündigung, Kultur und Bildung statt. Sie haben die Auswirkungen und Errungenschaften der Reformation und ihrer Zeit aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, wirken nach, wie die ereignisreiche Zeit der Reformation selbst.

Nach mehreren Monaten des Feierns, Bedenkens, Disputierens, der künstlerischen Betätigung und des Kulturschaffens findet die Jubelzeit am 31. Oktober ihren offiziellen festlichen Abschluss mit einem Jugendgottesdienst unter dem Titel „Soli Deo Gloria“ in der Görlitzer Lutherkirche.

Mut zur Veränderung

In der Beschäftigung mit den Akteuren, den Themen, den Anforderungen der Zeit um 1525 und unserer Zeit wurde deutlich, es braucht die Bürger, die sich als Teil einer Gemeinschaft verstehen, in ihr und für sie aktiv werden. Menschen, die hinhören und andere in ihren Bedürfnissen und ihrem Sein wahrnehmen. Es braucht den Mut, sich auf Augenhöhe zu begegnen, für Neues und zur Veränderung. Der Glaube als Nachfolge Jesu auf dem Weg zum Unerhörten ist dabei die Grundlage und gleichsam Ansporn, aus dem die Kraft entspringt, wirkliche Veränderung und Weiterentwicklung möglich zu machen.

Es gibt auch weiterhin unerhört viel zu bedenken, zu entwickeln, zu verändern. Solange es Unerhörtes gibt, solange Menschen marginalisiert und missachtet – überhört werden – ist Reformation nötig. Die empörten „UNERHÖRT-Schreie“ sind ein guter Indikator für die anhaltende Notwendigkeit reformatorischen Denkens.

Daniel Schmidt ist Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Schlesische Oberlausitz.