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“Um Franz Kafka drehte sich alles”

Der Anlass für die Ausstellung “Das Fotoalbum der Familie Kafka” ist der 100. Todestag des Autors. Die Schau räumt mit vielen Klischees auf. Der “Brief an den Vater” lässt sich nun als literarisch einordnen.

In seinen literarischen Schriften stellte sich der Schriftsteller Franz Kafka (1883-1924) als Außenseiter dar: “Verwandtengefühle habe ich keine”, schrieb er über ein Familientreffen in Prag, an dem er teilnahm. Auch gegenüber dem potenziellen Schwiegervater, dem Vater seiner zeitweiligen Verlobten Felice Baur, inszenierte er sich als völlig losgelöst von seiner familiären Herkunft.

Die Ausstellung “Das Fotoalbum der Familie Kafka”, die ab Freitag im Stabi Kulturwerk der Berliner Staatsbibliothek zu sehen ist, bringt diese Selbststilisierung als totaler Einzelgänger zum Einsturz. “Franz Kafka hat sich nicht abseits gehalten von der Familie, auch wenn er dies schrieb”, sagte Kurator Hans-Gerd Koch am Donnerstag bei der Präsentation. “Er war im Mittelpunkt. Um ihn drehte sich alles.” Anlass für die Ausstellung, die bis zum 2. Juni geht, ist der 100. Todestag des Schriftstellers.

Es sind rund 130 Originalfotografien sowie Postkarten in neun Ausstellungskapiteln zu sehen, die aus dem Nachlass der Familie Kafka stammen. Viele davon sind bisher noch nicht veröffentlicht worden, sagt der Literaturwissenschaftler Koch. Er hat sie im Laufe der Jahrzehnte gesammelt in engem Kontakt mit Kafkas Nachfahren. Die Fotos dokumentierten eine “große Verbundenheit” des Autors mit seiner Herkunft. Liebevoll schrieb der Jurist zum Beispiel einer seiner drei Schwestern, er habe sich sehr über die Post ihrer Kinder an ihn gefreut. “Die Kinder machen mir Freude.”

Je mehr dieser Schriftstücke man liest und mit den Schwarzweißfotos in Beziehung setzt, desto deutlicher erkennt man: Franz Kafka, der mit Werken wie “Der Prozess”, “Die Verwandlung” oder “Das Urteil” posthum weltberühmt wurde, hat Realität und Fiktion gern vermischt. Das betont auch Kurator Koch. Durch die gezeigten Fotos und Schriftstücke werde deutlich, dass Kafka seinen Vater Hermann geliebt habe und ihm auch kleidungsmäßig nacheiferte. Der berühmte Text “Brief an den Vater”, in dem ein sehr negatives Bild des Vaters gezeichnet wird, lasse sich deshalb eindeutig als Literatur einordnen.

Kein Einzelfall. “Franz Kafka hatte die Gewohnheit, Menschen, in deren Bann er stand und von denen er fasziniert war, in seinen Texten mit negativen Eigenschaften zu beschreiben”, betont Koch. Dadurch habe er Distanz zu schaffen versucht. Auch seine zeitweilige Verlobte Felice Bauer war davon nicht ausgenommen. Verzweifelt habe Kafka sie schriftlich zu erobern versucht, doch in seinen Tagebüchern habe er sie als hässlich dargestellt.

Damit nicht genug der Verwandlungen. Als Kafka, der in einer Kanzlei in leitender Stellung tätig war, der von ihm verehrten Felice mit einem Schreibmaschinenbrief sein Herz ausschütten wollte, zeigte sich, dass der Schriftsteller dazu technisch nicht in der Lage war. Auf der Arbeit übernahmen die Benutzung dieser damals hochmodernen Geräte für die berufliche Korrespondenz drei Angestellte. Kafka schrieb holprig an Felice und entschuldigte sich damit, dass die Maschine, die er sonst benutze, derzeit nicht zur Verfügung stünde. “Tatsächlich benutzte Kafka die Schreibmaschine überhaupt nicht”, so Koch.

Dass es beim Thema Partnerschaft in der Familie Kafka generell nicht locker zuging, dokumentiert die Ausstellung auch. Gestellte Fotos von zwei Schwestern sind zu sehen, die einem professionellen Heiratsvermittler als Einsatzmaterial dienten. Die Ehen, die dabei zustande kamen, verliefen glücklich. So wie auch die Ehe der Eltern von Franz Kafka, die auf die gleiche Weise angebahnt wurde. Dieser Weg stand dem scheuen Schriftsteller nicht offen. Sogar das berühmte Verlobungsfoto von Franz und Felice erweist sich im Rahmen der Ausstellung als Fiktion. Es wurde am Ende der zweiten Verlobungsphase kurz vor dem Ende der Beziehung aufgenommen. Kafkaesk, aber wahr.