Die niederländische Autorin Renske Jonkman hat über die besondere Beziehung ihrer Landsleute zum Wind ein Buch geschrieben. Eine Inspiration, selbst einmal wieder mit diesem Naturelement auf Tuchfühlung zu gehen.
Für Nord- und Ostseeurlauber ist es ein Grund für die Wahl ihres Ferienziels: Am Strand können sie sich von einer steifen Brise den Alltagsmief rauspusten lassen und den Kopf wieder freibekommen. Nun, im Herbst, wird es hierzulande vielerorts wieder stürmisch. Für die einen ein willkommener Anlass, es sich in den vier Wänden gemütlich zu machen. Andere zieht es gerade jetzt nach draußen.
Ein Vorhaben, das Renske Jonkmann nur gutheißen kann. Die niederländische Autorin, aufgewachsen in der westfriesischen Polderlandschaft, hat ihre Liebe zum Wind quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Sie lernte früh, den Wind nicht zu verfluchen, sondern mit ihm zu leben und sich mit ihm zu bewegen.
Als junge Frau zog es sie dann nach Amsterdam, in die vermeintliche Freiheit der Großstadt – bis sie bei sich eine Veränderung bemerkte: “Wer lange genug im Zentrum wohnt, wird pausenlos beäugt, beobachtet, belauert. Das macht unruhig und nervös” – und depressiv. Ihr schien “jedes Gefühl für das Sein selbst abhandengekommen” zu sein, schreibt Jonkmann in ihrem Buch “Vom Glück mit dem Wind zu leben”. Schließlich zog sie 2015 mit Partner und Kind wieder zurück in die Weite und Einsamkeit der Polderlandschaft.
Dort, in engem Kontakt zur Natur und den Elementen, fand die Autorin nach eigenen Worten zurück zu ihrem psychischem Wohlbefinden. Zum Beispiel bei anstrengenden Spaziergängen bei starkem Wind – inmitten der unbeherrschbaren Naturelemente habe sie gelernt, “Kräften standzuhalten, die stärker sind als ich”. Sich vom Sturm durchpusten zu lassen, sei auch für den Geist erfrischend und führe zu einer inneren Ruhe. Jonkman schwört nach Stunden konzentrierter Schreibtischarbeit auf solche Gänge. Die Holländer hätten dafür sogar ein eigenes Wort – “uitwaaien”, was so viel bedeutet wie “mit dem Wind laufen”.
Dieses Laufen mit dem Wind ist für sie sogar ein Weihnachtsspaß. Am zweiten Weihnachtstag treffen sich demnach ganze Familien in Festtagsoutfit – selbst bei Sturm und strömendem Regen – zu einem Spaziergang am Strand, um sich kräftig durchpusten zu lassen. Das mag nach Ansicht der Autorin am Naturell ihrer calvinistisch geprägten Landsleute liegen; ihr Buch gewährt nebenbei einen tiefen Blick in deren Seele. “Wir verdonnern uns dazu, selbst noch an einem Feiertag unserer Arbeitsmoral Genüge zu tun und den Kampf gegen die Elemente aufzunehmen”, schreibt sie augenzwinkernd. Aber der Strandspaziergang sei auch ideal, um der Enge und Etikette des Familienfestes zu entkommen.
Fast nebenbei beschreibt Jonkman die große Bedeutung des Windes für ihre Heimat. Dieser habe den Holländern buchstäblich neues Leben geschenkt – dank der berühmten Windmühlen konnten sie Wasser abpumpen und neues Land gewinnen. Zugleich veränderte sich die Landschaft durch Naturgewalten immer wieder, musste das Land dem Meer abgerungen werden; nichts war oder ist von Bestand. Auch der Himmel über der Polderlandschaft lasse erahnen, dass alles in permanenter Bewegung sei, “Wolken bleiben in Form und Farbe keine halbe Stunde gleich”. Zugleich könne der Blick zum Himmel zu Gelassenheit verhelfen, “die Gewissheit, dass nichts von Dauer ist”.
Auch niederländische Impressionisten hätten sich vom Wind und seinen Folgen – dramatischen Wolkenbildern, der unbedeutende Mensch in der Landschaft, durch die Wolken durchbrechendes Sonnenlicht – inspirieren lassen. Und natürlich tangiert der Wind in all seinen Facetten auch das Radfahren, das beliebte Fortbewegungsmittel des Landes. In der freien Polderlandschaft ist das nicht ohne Tücken. Aber man könne dabei eine allgemeine Lektion lernen, wie man im Leben stehen sollte: “beharrlich, in der Balance, immer auf Unerwartetes gefasst”.
Für Jonkman gibt es deshalb keinen Grund, bei Wind im Haus zu bleiben – auch nicht im Herbst mit seinem stürmischen und nassen Wetter. Davon bekomme man nichts mit, wenn man sich zu Hause oder im Büro tagelang verkrieche – “so lange, bis man müde und benommen ist und die Hektik der modernen Zivilisation dafür verantwortlich machen kann”. Selbst ein bewölkter Tag biete genug Licht und Sauerstoff, um die Stimmung aufzuheitern und klarer denken zu können, so Jonkmans Erfahrung.
Zwar sei es verlockend, im wohligwarmen Zuhause zu bleiben. Wer den grauen Tagen nicht ins Auge blicke, der müsse damit rechnen, dass sich die äußere Unruhe irgendwann in ihm selbst festsetze. “Sie macht ihn trübsinnig und nervös, so als hätte sich der Sturm nach innen gewendet und würde nur durch die eigenen Adern fließen.” Ihr Tipp: “Nichts wie hinaus ins Freie!”