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Thüringen will früheres Sitzenbleiben einführen

Die Thüringer Landesregierung hat sich auf die umstrittene Reform der Schulordnung verständigt. Demzufolge wird für fast alle weiterführenden Schulen eine Versetzungsentscheidung schon nach der sechsten Klasse wieder verpflichtend, sagte Bildungsminister Christian Tischner (CDU) am Dienstag im Anschluss an eine Kabinettssitzung in Erfurt.

Ausnahmen soll es laut Tischner für Gemeinschaftsschulen geben, wenn deren Schülerinnen und Schüler mindestens bis zur achten Klasse gemeinsam lernen. Die Entscheidung liege im Wesentlichen in der Verantwortung der Schulen und müsse durch die jeweilige Schulkonferenz getroffen werden.

Der von der Landesregierung vorgelegte Entwurf der neuen Verordnung war etwa durch die Landeselternvertretung scharf kritisiert worden. Besonders die Möglichkeit des Sitzenbleibens an Gemeinschaftsschulen sieht diese als problematisch an, da dort häufig jahrgangsübergreifend gearbeitet werde. Auch die geplante Wiedereinführung von Kopfnoten wurde als repressives und überholtes Bewertungssystem kritisiert.

Tischner sagte, aus pädagogischer Sicht böten frühere Versetzungsentscheidungen schon nach der sechsten Klasse die Chance, Leistungsrückstände von Schülern frühzeitig zu erkennen. So sei es möglich, dem einzelnen Kind in seiner Entwicklung bestmöglich gerecht zu werden.

Der Freistaat ist nach Angaben Tischners während der zurückliegenden 15 Jahre von einem Spitzenplatz in nationalen Vergleichsstudien auf einen hinteren Platz abgerutscht. Heute verließen zehn Prozent der Thüringer Jugendlichen die Schule ohne einen Abschluss. Am Ende der achten Klasse würden inzwischen sieben Prozent aller Schüler nicht versetzt. Seit den 2010er Jahren habe sich dieser Prozentsatz mehr als verdreifacht.

Thüringen arbeite deshalb aktuell an der Einführung von Sprachtests in Kindergärten. So solle vor der Einschulung jedes Kind individuell gefördert werden können, sollten Probleme sichtbar werden, sagte Tischner. In den Grundschulen werde künftig der Vermittlung von Lesekompetenzen ein weitaus höherer Stellenwert als bislang eingeräumt.

Zugleich will das Land in die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern investieren. „Für berufliche Seiteneinsteiger in den Schuldienst ist ein dreimonatiger Vorbereitungskurs vorgesehen, der didaktische, pädagogische und psychologische Kompetenzen vermitteln soll“, sagte der Bildungsminister. Auch würden die Lehrpläne dahingehend überarbeitet, dass künftig mehr Raum für individuelle Förderungen gegeben sei.

Die oppositionelle Linksfraktion im Thüringer Landtag bewertete die Novelle der Schulordnung unterdessen als „Schulpolitik von vorgestern“. Nach Worten der bildungspolitischen Sprecherin der Linken, Ulrike Grosse-Röthig, will das Bildungsministerium Handlungsfähigkeit signalisieren, indem es längst veraltete Maßnahmen für die Vermittlung von Werten wie Ordnung, Fleiß, Disziplin und Verlässlichkeit wieder aufwärme.

Für die erste Juniwoche ist die Vorstellung der neuen Verordnung im Bildungsausschuss des Landtages vorgesehen. Die novellierte Schulordnung soll zum neuen Schuljahr in Kraft treten.