Artikel teilen:

Thies Gundlach: Pfingsten als Fest der Demokratie

Was haben Pfingsten und Demokratie gemeinsam? In seinem Gastkommentar schreibt der Vizepräsident a.D. im Kirchenamt der EKD über das Pfingstfest und sein „Kommunikationswunder“.

Die Organisation Nihon Hidankyo erhält den Friedensnobelpreis
Die Organisation Nihon Hidankyo erhält den FriedensnobelpreisImago / Zoonar

Die christlichen Feiertage stehen für die „gute Mär“, so steht es bei Martin Luther, oder für eine Narration, so sagen wir es heute, die Jahr für Jahr an Themen jenseits von Arbeit und Alltag erinnern: Staunen über Heiliges und Heilendes, Dank für alles, was nur scheinbar selbstverständlich ist, Unterbrechung des Immergleichen und Eröffnung eines Freizeit- und Erholungsraumes für „seelische Erhebung“.

Das „Evangelium“ – die gute Nachricht – des Pfingstfestes ist für viele Menschen zweifellos eingedampft auf die „gute Nachricht“ vom freien Montag. Doch Pfingsten erinnert – wie fast alle ­religiösen Feiertage gleich welcher Herkunft – an die existentiellen ­Tiefenschichten des Menschseins. Und weil so wenig Budenzauber drumherum ist, kann man den eigentlichen Zauber umso mehr in die Seele lassen. Deswegen hat in meinen Augen das Pfingstfest seine beste Zeit vielleicht noch vor sich.

„Pfingsten sind die Geschenke am Geringsten“

Denn Feiertage sind Identitätsangebote einer Gesellschaft, die sich zu verorten sucht in den unsicheren Läufen der Zeit. Und der Sinn eines Feiertages hängt im Kern nicht an der Frage, wie viele Menschen ihn faktisch begehen, sondern welche Intentionen er symbolisiert. Natürlich werden Feiertage, die von niemandem mehr beachtet werden, irgendwann hohl und leer.

Thies Gundlach ist Theologischer Vizepräsident a.D.  im Kirchenamt der EKD.
Thies Gundlach ist Theologischer Vizepräsident a.D. im Kirchenamt der EKD.Hanno Gutmann

Und die Pfingstfeiertage, über die immer mal wieder der Merksatz formuliert wird: „Pfingsten sind die Geschenke am Geringsten“, haben es vielleicht besonders schwer, ihren inneren Sinn präsent zu halten. Denn die geringe Zahl an fest gefügten Traditionen zu Pfingsten werden ja leicht aufgefüllt mit „säkularen Inhalten“, die sich mehr am – in der Regel – guten Wetter und gemeinsamen Ausflügen, denn an Glaubensinhalten orientieren. Aber man kann versuchen, die innere Intention des Pfingstfestes für die Gegenwart nachzuerzählen und so vielleicht sogar „wiederzubeleben“.

Das Pfingstfest hat darum vielleicht seine beste Zeit noch vor sich, weil wir zunehmend spüren, dass polarisierende Geistlosigkeit und aggressive Kommunikationsverweigerung gefährlich sind für jede Demokratie. Und Pfingsten ist ja nicht allein als „Geburtstag der Kirche“ zu erinnern, sondern auch als Kommunikationswunder!

Ein Ereignis wird in vielen Sprachen ­verstehbar

Entgegen der Geschichte vom Turmbau zu Babel, wie sie im ersten Buch der Bibel überliefert wird (1. Buch Mose 11), hörten zu Pfingsten alle ­Menschen laut Apostelgeschichte (Apostelgeschichte 1) jeweils in ihren Sprachen von den großen Taten Gottes. Es geht Pfingsten nicht darum, dass alle eine Sprache sprechen, sondern dass ein Ereignis in vielen Sprachen ­verstehbar wird.

In der Urzeit hatte die mit einer Stimme sprechende Menschheit noch die Absicht, einen „himmelstürmenden Turm“ zu bauen; Gott aber wollte den Menschen vor diesem Größenwahn beschützen und „verwirrte“ die Sprache, wodurch die Arbeiten nicht weitergingen und die Menschen vom Turmbau abließen.

Nicht Monotonie, sondern Vielstimmigkeit

In der Pfingstgeschichte werden die Menschen durch Gottes guten Geist keineswegs wieder einsprachig, wohl aber einsinnig, denn sie hören nun in ihren Sprachen, also auf je individuelle Weise, von den großen Taten Gottes. Nicht Monotonie, sondern Vielstimmigkeit im Blick auf eine gemeinsame Sache, das ist Pfingsten.

Das Pfingstfest könnte mit dieser inneren Intention eine gute, regelmäßige Erinnerung sein an die für jede Demokratie unerlässliche Fähigkeit, dass wir die eine Sache in sehr viele verschiedene Sprachen übersetzen können müssen. Denn nur wenn alle in ihren Sprachen, Überzeugungen, Zuständigkeiten und Aufgaben die eine Demokratie verstehen und verteidigen gegen ihre Gegner, kann Konsens und Kompromiss erreicht werden. Demokratie lässt sich nur gemeinsam verteidigen. Pfingsten als Fest der Demokratie – warum eigentlich nicht?

Thies Gundlach ist Theologischer Vizepräsident a.D. im Kirchenamt der EKD