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Teufelsritt zum Paradies

Um die dritte Todsünde, die Wollust, ranken sich seit jeher die Phantasien. Die Kabarettistin Lisa Fitz blickt auf ihr Leben und resümiert: „Um alt und weise zu sein, musst du erstmal jung und dumm gewesen sein“.

Lange, blonde Wallmähne, strahlend weiße Zähne: Lisa Fitz ist auch mit 67 Jahren noch eine Augenweide. Die Kabarettistin ist bekannt für ihre direkte Art, wilde Partys und viele Männer. Heute führt sie ein ruhiges Leben und steht zu ihren Eskapaden:
Mein Leben war ein Teufelsritt, auf den mich Dionysos, der antike Gott des Weines, der Freude, der Fruchtbarkeit und der Ekstase, aufgebockt hat. Mich, Jungfrau-Geborene und ewig Liebende.
Der Ritt begann mit Ende fünfzehn, legte bei dreißig eine Pause für einige Ehe- und Mutterjahre ein und setzte sich mit achtunddreißig bis zweiundfünfzig fort. Manchmal nur die Lightversion, aber das Füllhorn von Sex, Drugs and Rock’n’ Roll habe ich wohl zur Gänze über mir ausgegossen, alle Sümpfe wollten heißen Herzens und heißer Vulva durchwatet werden. Höllentrips und Wiederauferstehung, selten als Opfer, eher als Täterin und Beobachterin, die alles erfahren wollte, was Gefahren barg, sogar, als ich mir den Luxus der Unterwerfung leistete, was mich fast meine psychische Stabilität kostete.

Ein Übermaß an Lebensdrang

Ich wollte auch diese Erfahrung zu Ende bringen, den Kreis schließen. Immer fuhr ich mit zweihundert in die Kurve, aber meine Seele hatte das Lebensrennen auf verborgene Weise im Griff, oder es stieg rechtzeitig ein (oft unsichtbarer) Beifahrer oder ein Freund zu, der gegenlenkte. Im entscheidenden Moment verstand ich – GOTT SEI DANK! –, wann die Geschwindigkeit zu mindern, die Suchten zu lassen waren.
Vielleicht war es der frühe Yoga-Unterricht dank meiner Mutter, der mich bewahrte. Oder auch der Buddhismus, der sagt: Machen kannst du alles, aber es hat Folgen. Und ich konnte auch keine selbstzerstörerischen Tendenzen bei mir entdecken, eher ein Übermaß an Lebensdrang und Tollkühnheit.

Das ist so leicht dahingesagt – vom Gas gehen, gegenlenken, Suchten lassen.
Es war jahrelange harte Arbeit, mir in selbst auferlegten, monatelangen Disziplinarmaßnahmen das wieder abzugewöhnen, was ich jeweils von mir Besitz hatte ergreifen lassen – das, was sich zunächst als Spaß darbot, später dann als Last und Bürde Huckepack getragen werden musste.
Aber ob es Nikotinabusus beim Feiern war oder übermäßiger Alkoholgenuss, Vielmännerei oder Kaufräusche – immer ergriff zur richtigen Zeit ein weiser Archetypus in meinem Kopf das Wort: Liebe Lisa, es wird nun zu viel, fange an, es zu ändern. Oder ein Freund sagte das, und ich erhörte ihn, begann, die Askese aus eigener Kraft umzusetzen, mühsam, langsam, stetig.

Man kann sagen, dass ich zwei Leben gelebt habe. Im langen ersten Leben, das sich mit dem zweiten über Jahre wie ein Reißverschluss verhakte und sich mit ihm abwechselte, gab es unzählige Nächte, die ich betrunken verlotterte, Tage, in denen ich mit einem Jahrhundertkater über der Kloschüssel hing – Räusche, Orgien, Feste, apathische Katerstimmungen, depressive Talfahrten und schwärzeste Aussichtslosigkeit.

Heute ist mein Kopf klar wie ein Bergsee. Mein Körper ist mein Freund geworden.
Ich habe die Suchten und Genussgifte aus meinem Körper getrieben wie einen Alien, aus meinem Leben verjagt wie eine Rattenplage aus der Stadt. Das gibt Kraft und Energie ohne Ende. Ich bin psychisch stark und stabil. Ich trinke nicht, rauche nicht, bin giftfrei. Im Alter von 53 Jahren bin ich drei Halbmarathons gelaufen, 21 lange Kilometer in zwei Stunden fünfzehn. Der zwanzigjährige Afrikaner lief’s in einer. Ich bin kein Afrikaner und nicht mehr einundzwanzig, und ich fand, zwei Stunden fünfzehn waren eine sehr befriedigende Zeit.

Macht das Leben nur mit Bier und Kippen Spaß?

Und immer und immer wieder höre ich Freunde und Kollegen gebetsmühlenartig leiern:
„Aber das ist doch langweilig, das ist doch kein Leben! Das macht doch keinen Spaß.“
Falsch. Macht das Leben denn nur mit mit Kippen und Bier Spaß?
Suchten sind die Flucht auf einem lahmen Pferd, Freunde, irgendwann bricht das zusammen. Besser, das Cowgirl steigt vorher ab und sucht sich ein neues Pferd.
Aber mein zweites Leben wäre gar nicht möglich gewesen ohne das erste. Ich hätte mich dann nicht nur mit sechzehn, sondern weitere vier Jahrzehnte ständig fragen müssen, was ich – herrje! – alles versäumt habe. Nun kenne ich das wilde Leben bis zum Abwinken, bis zum Abkotzen sogar, und ich bin’s zufrieden. Es ist ausgereizt.

Leben Nummer zwei kam natürlich nicht von einem Tag auf den anderen – hoppla, jetzt kommt die starke Lisa aus der schwachen herausgekrochen, Aha-Erlebnis, Erleuchtung, Leben geändert, Heldin geworden. Oh Gott, nein, Vogel Fitz flatterte durch endlose, unzählige Windböen und Flauten, stürzte ab, wurde im Sturm gebeutelt, segelte über Meere der Einsamkeit, kämpfte sich durch Sümpfe der Traurigkeit, hat eine Unzahl Federn gelassen in Rückfällen, Schwächen und Denkfehlern aller Art, ein zähes (jahrzehntelanges) Ringen um Ziele (… der Weg ist das Ziel – und dann ist das Ziel weg!), und vieles musste dabei auf der Strecke bleiben.

Es gibt noch das dritte Leben, das spirituelle. Das religiöse. Yoga, Buddhismus, Meditation, spirituelle Entwicklung, Psychotherapie und Selbsterfahrung. Meine Parallelwelt.
In meinen Zwanzigern erfolgte mein Austritt aus der (protestantischen) Kirche. Nicht, weil ich Atheistin gewesen wäre, im Gegenteil, Gott und die damit verbundene Thematik sollten mich zeitlebens beschäftigen. Ich konnte nur die frauen- und sexualfeindliche Institution Kirche sowie ihre Verbote und Maßregelungen nicht als verbindlich für mich erachten.
Ich beschäftigte mich mit fernöstlichen Religionen, mit Meditation und philosophischen Schriften, Schopenhauer, Erich Fromm und las alle Bücher des US-amerikanischen Anthropologen Carlos Castaneda. All die Jahre durchwanderte ich aus Neugier und breitgefächertem Interesse an Geist und Psyche so viele Lehren, Bücher, Kurse, Seminare und Therapien, ständig reflektierend, dass auch meine Seele zum offenen Buch für mich wurde.

Die Seele wurde zum offenen Buch

Und auch das Schreiben meiner Biographie hat mich emotional nicht ins Wanken gebracht, das Alles-nochmal-durchleben-Müssen, wie Viele sagen – weil ich alles Schwache, Traurige, Miese und Geringe schon von mir weiß – und mir mein Leben viele Male mit Lehrern und mentalen Begleitern bewusstgemacht und durchdacht und durchfühlt, viele bittere Tränen geweint und verstehen gelernt habe, dass meine lieben Eltern und meine Verwandten und meine guten Freunde, dass alle nur Menschen sind und oft auch nur Opfer von Opfern.
Dafür, Leute, verzichte ich auf alle Kippen. Oder gar Joints (langweilig!) Und auf alle Flaschen in meinem Leben.