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“Tausend Zeilen” über Fall Claas Relotius – unterhaltsame TV-Premiere

In den 2010er-Jahren stieg Claas Relotius mit größtenteils erfundenen Porträts und Reportagen zu einem gefeierten Starautor beim Magazin “Der Spiegel” auf. Ein Filmdrama erzählt nun seine Geschichte.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Der freie Journalist Juan Romero (Elyas M’Barek) befindet sich auf einer Recherche in Mexiko, als ihn der Anruf aus der Redaktion des deutschen Nachrichtenmagazins “Chronik” erreicht. Ressortleiter Rainer M. Habicht bittet ihn, etwas mehr Tempo zu machen. Der Beitrag über den nicht abreißenden Flüchtlingsstrom, der sich Richtung US-amerikanischer Grenze bewegt, soll Aufhänger der nächsten Ausgabe werden. Der Artikel, so Habicht, werde mit einer parallel gebauten Darstellung aus der Sicht US-amerikanischer Grenzschützer aufgepeppt.

Romeros Einwand, dass die Recherche wohl einige Zeit in Anspruch nehme, kontert Habicht mit dem Hinweis, dass dies Romero nicht zu bekümmern brauche. Denn den in den USA spielenden Teil des Artikels schreibe Lars Bogenius (Jonas Nay), der die “Chronik” seit einigen Jahren zuverlässig mit Artikeln beliefert, welche die Leserzahlen in die Höhe schnellen lassen.

In fiktionalisierter Form erzählt der bildstark und mit leichter Hand von Michael “Bully” Herbig inszenierte Film von 2022 die Affäre Claas Relotius nach, der 2018 als Schwindler aufflog. Jahrelang hatte der “Spiegel”-Journalist Artikel und Interviews weitgehend erfunden. Aufgeflogen ist der Fall durch den Reporter Juan Moreno, der 2018 zusammen mit Relotius an einer Reportage über die Bürgerwehren und Flüchtlingstrecks an der Grenze zwischen den USA und Mexiko arbeitete, dabei Unstimmigkeiten in Relotius” Text feststellte und diese zu überprüfen begann. “Tausend Zeilen Lüge”, heißt das 2019 erschienene Buch, in dem Moreno den Fall aus seiner Sicht schildert und auf dem der Film aufbaut.

Die wie ein modernes Märchen angelegte Adaption tendiert darstellerisch zu übersteigerter Dramatik und lässt die Hintergründe für das Verhalten des Hochstaplers letztlich unaufgeklärt, liefert aber eine unterhaltsame Rückschau auf den Skandal

Der Journalist Juan Romero befindet sich in Mexiko, als ihn der Anruf aus der Redaktion des deutschen Nachrichtenmagazins “Chronik” erreicht. Ressortleiter Rainer M. Habicht bittet ihn, mehr Tempo zu machen. Der Beitrag über den Flüchtlingsstrom, der sich Richtung US-amerikanischer Grenze bewegt, soll Aufhänger der kommenden Ausgabe werden. Der Artikel, so Habicht, werde mit einer parallel gebauten Darstellung aus der Sicht US-amerikanischer Grenzschützer aufgepeppt, die dafür sorgen sollen, dass die Migranten nicht in die USA gelangen.

Damit die Story so richtig unter die Haut geht, so die weiteren Instruktionen, soll Romero den in Mexiko spielenden Teil rund um eine junge Frau entfalten, die mit ihrem Kleinkind allein unterwegs ist. Im anderen Teil der Geschichte sollen die “Border Wolves” zu Wort kommen, eine für ihre harte Vorgehensweise bekannte Gruppe patriotischer US-Hillbillies.

Romeros Einwand, dass die Recherche um die Grenzschützer wohl einige Zeit in Anspruch nehme, kontert Habicht mit dem Hinweis, dass ihn dies nicht zu kümmern brauche: Denn diesen Teil des Artikels schreibe Lars Bogenius, der seit einigen Jahren Artikel liefert, welche die Leserzahlen in die Höhe schnellen lassen. Romero, das Handy am Ohr, fällt aus allen Wolken.

Innerhalb weniger Minuten erklärt Regisseur Michael “Bully” Herbig zu Beginn von “Tausend Zeilen”, was Sache ist: die (verlorene) Position des rechtschaffenen Journalisten Romero, der auf Aufträge des erfolgreichen Nachrichtenmagazins angewiesen ist. Die selbstgefällige Überheblichkeit der Redaktionsleitung, die einzig Gewinnmaximierung im Kopf hat und sich reißerische Storys ausdenkt, welche die Reporter ohne Rücksicht auf die Realitäten vor Ort umzusetzen haben.

Als dritten Schauplatz führt Herbig ein Resort in Kalifornien ein, wo Bogenius am Pool seine Recherchen durchführt und mit der Redaktion telefoniert. Alles kein Problem, flötet er, herrlich schnöselig gespielt von Jonas Nay; der Artikel sei bald im Kasten.

Diametral entgegengesetzte Berufspraktiken und -ethiken prallen sehr bildhaft aufeinander. Die des lässig im Internet surfenden Singles und Sunnyboys, der seine Arbeit auf die leichte Schulter nimmt. Auf der anderen Seite der seriöse Journalist, der mit vier Töchtern und seiner Frau zusammenlebt und seine Texte bis aufs letzte Wort auf ihre Richtigkeit überprüft.

“Tausend Zeilen” heftet sich in der Folge an Romeros Fersen. Der Film greift die Affäre um den ehemaligen “Spiegel”-Reporter auf, Claas Relotius, der das Magazin seit den 2010er-Jahren mit Reportagen und Interviews belieferte, die sich später als weitgehend erfunden erwiesen. Der Fall flog auf durch den Reporter Juan Moreno, der 2018 zusammen mit Relotius an einer Reportage über die Bürgerwehren und Flüchtlingstrecks an der Grenze zwischen den USA und Mexiko arbeitete und dabei Unstimmigkeiten in Relotius’ Text feststellte. “Tausend Zeilen Lüge” heißt das Buch von 2019, in dem Moreno den Fall aus seiner Sicht schildert und auf dem der Film aufbaut.

Herbig nimmt sich vieles heraus. Zugleich aber blättert er mit leichter Hand ein Thema auf, das die Menschheit seit jeher beschäftigt und im Zeitalter von Computer und digitalen Medien noch weit brisanter ist. Wer kann schon sagen, welche Nachrichten, die ihn auf virtuellem Weg erreicht, wirklich wahr sind?

“Tausend Zeilen” ist wie alle Herbig-Filme bildstark inszeniert und tendiert in der schauspielerischen Darstellung zu übersteigerter Dramatik. Das verpasst dem Film eine in Anbetracht des seriösen Themas zunächst irritierende Leichtigkeit, in der aber doch ein Zugang zu der Geschichte liegt. Es handelt sich auch um eine moralische Fabel mit der Botschaft, dass Lügen kurze Beine haben.

“Tausend Zeilen” ist trotz einer Laufzeit von 93 Minuten erstaunlich kurz. Elyas M’Barek spielt Romero charmant und präsent. Jonas Nay gibt den fallenden Hochstapler erstaunlich dezent. Eines löst der Film jedoch nicht ein, was man zu gern erfahren hätte: was einen Hochstapler wie Bogenius antreibt. Und wie es kommt, dass ausgerechnet ein seriöses Magazin dessen schamloses Treiben nicht schon viel früher durchschaut hat.