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Talar an- und wieder ablegen

UK 31/2017, Talare und Kirchenbau (Seite 2: „Wofür steht der Schwarzkittel?“, „NS-Relikte in Kirchen nicht verschweigen“ und Seite 5: Kommentar „Aufklären“)
Zum Thema Talare: Im Vikariat in Duisburg wurde ich auch in der Gefangenenseelsorge beteiligt. Eines Tages sagten die Gefangenen zu meinem Mentor: „Pastor, wir kommen nicht mehr in deinen Gottesdienst! Du trägst dasselbe Kleid wie Staatsanwalt und Richter!“
Das Presbyterium hat damals diese Worte lange besprochen und bedacht. Diese Worte leuchteten ihnen ein. Der schwarze Talar der Geistlichen, so meinten sie, trennte den Pastor von der Gemeinde. Nix mit Priestertum aller Gläubigen. Damit verbunden wäre die Botschaft: Um das Evangelium zu verstehen, musst du studiert haben! Die Presbyterinnen und Presbyter beschlossen, die Albe mit Stolen zum regelmäßigen Gewand der Liturgen zu bestimmen.
Der berühmte Theologe Walter J. Hollenweger ging weiter. Er regte an, das liturgische Gewand im Gottesdienst anzuziehen und abzulegen. So wird sinnlich erfahrbar, dass hier einer von uns zeitweilig eine Rolle übernimmt. Sie muss verkörpert werden.
Akademische Ausbildung und Verbeamtung begründen weder einen Anspruch auf diese Rolle noch sind sie zureichend für Ordination, wie Paul Oestreicher unseren
Kirchen 2006 geschrieben hat.

Zum Thema Kirchenkunst: Das „Nein!“, der kritische distanzierte Umgang mit den Relikten aus der NS-Zeit, ist wichtig. Jedoch reicht diese Haltung nicht aus. Wir Menschen leben nicht als Zuschauer – wir sind zu allererst Teilnehmer in der lebendigen Schöpfung durch Hören und Sprechen. Welche Namen werden also aus der Zeit des NS-Regimes positiv erzählt, von welchen Menschen glauben wir Erwachsenen, dass sie Vorläufer unserer Zukunft sind. Sie müssen genannt, von ihnen muss erzählt werden. Dann wird Hoffnung  in den Seelen von Kindern und Jugendlichen lebendig sein in diesen Namen. Julius Fucik, ermordet von den Nazis, schrieb in einem seiner letzten Briefe an die Überlebenden:
„(…) Um eines bitte ich: Ihr, die ihr diese Zeit überlebt, vergesst nicht. Vergesst die Guten nicht und nicht die Schlechten. Sammelt geduldig die Zeugnisse über die Gefallenen. Eines Tages wird das Heute Vergangenheit sein, wird man von der großen Zeit und den namenlosen Helden sprechen, die Geschichte gemacht haben. Ich möchte, dass man weiß: dass es keinen namenslosen Helden gegeben hat, dass es Menschen waren, die ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen hatten, und dass deshalb der Schmerz auch des letzten unter ihnen nicht kleiner war als der Schmerz des ersten, dessen Name erhalten bleibt. Ich möchte, daß sie Euch alle immer nahe bleiben, wie Bekannte, wie Verwandte, wie ihr selbst.
Ja, ich möchte, dass man jene nicht vergesse, die treu und standhaft gekämpft haben, draußen und hier, und die gefallen sind. Aber ich möchte auch, dass die Lebenden nicht vergessen werden, die uns nicht weniger treu und nicht weniger standhaft unter den schwersten Bedingungen geholfen haben. Nicht zu ihrem Ruhm. Aber als Beispiel für andere. Denn die Menschenpflicht endet nicht mit diesem Kampf, und ein Mensch zu sein, wird auch weiterhin ein heldenhaftes Herz erfordern, solange die Menschen nicht ganz Menschen sind.“

Thomas Dreessen, Gladbeck