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T.C. Boyle: Ich schreibe nie ohne Musik

T.C. Boyle ist an diesem Dienstag 77 Jahre alt geworden. Am Montagabend plauderte er bei einer Lesung zu seinem neuen Buch “No Way Home” in Stuttgart über das Schreiben – und über sein deutsches Lieblingswort.

Der US-Schriftsteller T.C. Boyle gilt als eine der wichtigsten Stimmen der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Bei einer Lesung in Stuttgart lüftete er einige Geheimnisse seines Schreibens. “Ich habe noch nie ohne Musik geschrieben”, sagte Boyle am Montagabend in einem moderierten Gespräch zu seinem neuen Buch “No Way Home”.

Er höre beim Schreiben zum Beispiel Rock, Blues, Soul, Jazz oder manchmal auch Mozart, sagte Boyle im Mozartsaal des Kultur- und Kongresszentrums Liederhalle, der mit 750 Plätzen restlos ausverkauft war. “Gute Prosa hat Musikalität und Takt”, betonte der Schriftsteller. Er brauche keine Erfahrungen “außerhalb des Alltagsbewusstseins”, um gut schreiben zu können, sagte Boyle, der als junger Mann auch Drogen konsumierte.

“Ich habe viele Dinge in meinem Leben getan”, sagte Boyle. “Aber ich habe nie ein Wort geschrieben, ohne absolut nüchtern zu sein”, betonte er in Stuttgart. Alles andere verfälsche die Kunst. Anders als etwa für Hemingway sei der Alkohol für ihn kein Mittel, um besser zu schreiben.

Doch eine eher heitere Verbindung zum Alkohol kommt T.C. Boyle an diesem Abend doch in den Sinn. Als der SWR-Hörfunkmoderator Kristian Thees, der das Gespräch auf der Bühne führt, ihn fragt, was sein deutsches Lieblingswort sei, antwortet T.C. Boyle prompt: “Bier.” Thees wendet ein, das sei doch sehr klischeehaft, es gebe doch so schöne deutsche Wörter, zum Beispiel “Sehnsucht”.

Boyle darauf schlagfertig: Man könnte doch eine neue Bier-Marke namens Sehnsucht erschaffen. Indessen gibt es im Bierland Deutschland eine solche Sorte bereits: So hat eine Senf-Manufaktur im brandenburgischen Perleberg ein solches Bier auf ihrer Internetseite für 3,40 Euro im Angebot – allerdings ist dieses aktuell ausverkauft.

Tom Coraghessan Boyle wurde am 2. Dezember 1948 in Peekskill im US-Bundesstaat New York als Thomas John Boyle geboren und am Dienstag 77. Jahre alt. “Ich bin immer noch am Leben, das ist ein Wunder”, sagt der “Punk der amerikanischen Literatur” auf die Frage, wie es ihm geht.

Unkonventionell gekleidet ist “T.C.” noch immer: schwarze Hose, schwarzes Jackett, schwarze Turnschuhe, schwarze Baskenmütze, schwarz-grau gemustertes Hemd mit Cowboykrawatte und silberner Stierkopf-Brosche. Der 1,96 Meter große, spindeldürre US-Amerikaner scherzt, er habe bei der Lesereise in Deutschland Gewicht verloren. Als er vor zwei Wochen aus Kalifornien gekommen sei, “habe ich noch mehr als 250 Pfund (113 Kilo) gewogen”.

Auf die Frage, was ihn nervös mache, antwortet er mit der Entwicklung in den USA. Die “katastrophalste Wahl in der amerikanischen Geschichte” habe Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gemacht. Er hoffe auf einen “Regime-Wechsel” bei den Zwischenwahlen (Midterm elections) zum US-Kongress im November 2026, sagte Boyle unter stürmischem Beifall.

Der US-Schriftsteller sieht nicht nur sein Land am Abgrund. Die ganze Welt befinde sich inmitten der Klimakatastrophe. In seinem im Jahr 2000 erschienenen Roman “Ein Freund der Erde”, der im Jahr 2025 spielt, prognostiziert er aktuelle Klima-Phänomene erschreckend realistisch. Dasselbe gilt für seinen 2023 erschienenen Roman “Blue Skies”. Gefragt, ob er ein Prophet sei, sagte Boyle in Stuttgart: “Ein sehr deprimierender Prophet.” Und was werde in zehn Jahren sein, im Jahr 2035? “Wir sind dem Untergang geweiht”, antwortet er.

In Stuttgart stellte T.C. Boyle zusammen mit dem Schauspieler Ben Becker als deutscher Lesestimme seinen neuen Roman “No Way Home” vor. Das Buch erzählt eine – auch von Gewalt geprägte – Auseinandersetzung zweier Männer um eine Frau, eine obsessive Liebe. Boyle schreibt wie gewohnt mit scharfem Blick auf menschliche Abgründe und Unzulänglichkeiten, aber auch mit feinem Humor und Herzenswärme.

Für das Buch hat Boyle nach eigenen Angaben auch auf Erfahrungsberichte seines Sohnes Corey zurückgegriffen, der als Arzt eine Zeit lang in der Notaufnahme des County USC Hospital in Los Angeles gearbeitet hat. Dessen drastische Leidensgeschichten von Menschen hätten ihn inspiriert. Dabei hat der Star-Autor längst nicht alles selbst gesehen, was er detailgenau beschreibt, berichtet er.

“Ich hoffe nur, dass es mir nicht selbst passiert”, sagt Boyle. Es sei schließlich das Schöne an der Fiktion, an einem Roman: “Dass man sich einfach in eine andere Welt begeben kann.”