Die Marchlewskistraße im Berliner Stadtteil Friedrichshain zieht sich durch eine ruhige, attraktive Wohngegend, teils hübsch sanierte Fassaden. Vor fünfgeschossigen Häusern parken dicht an dicht Autos zwischen vereinzelten Straßenbäumen, vor denen im Herbst schon mal Laubbläser heftig knattern. Eine Einfahrt führt, an abgestellten Motorrädern vorbei, in eine Art Hinterhof, der auf der einen Seite von Einrichtungen der Evangelischen Kirchengemeinde St. Markus umgeben ist. Im Gemeindezentrum Lazarushaus, in Traufhöhe mit den benachbarten Wohnhäusern, finden Sonntagsgottesdienste und Begegnungen statt. Auf der anderen Seite ragen Balkone von Wohnhäusern über den Hof, ideale Südwestlage mit Blick auf einen kleinen, begrünten Platz.
Darauf steht seit ein paar Jahren, was man einen Campanile nennen könnte, ein freistehender Kirchturm mit drei Glocken. Eine der Glocken läutet, Tonhöhe und -lautstärke erinnern an kleine Dorfkirchen, zweimal täglich fünf Minuten lang zu den Gebetszeiten um 12 Uhr und um 18 Uhr sowie zu sonntäglichen 10-Uhr-Gottesdiensten, wenn sie im Lazarushaus stattfinden. Das Gemeindehaus ist als klassischer Kirchenbau nicht zu erkennen. Im Zweiten Weltkrieg wurden hier alle Kirchen weit und breit zerstört und danach nicht rekonstruiert. Um sich aber als Kirche sichtbarer und hörbarer zu zeigen, weihte die Kirchengemeinde vor ziemlich genau vier Jahren den Glockenturm ein. Betonbauweise, knapp 16 Meter hoch. Traufhöhe, so die Auflage des Bauamtes. Glockenklänge sorgten neulich mal wieder für Verdruss und „Lärmkritik“.
Glockenstreit: Kompromiss zwischen Anwohnern und Kirchengemeinde gesucht
„Es ist so laut, dass man sich in den fünf Minuten nicht mal mit seiner Familie unterhalten kann“, klagte Anwohner Martin Petzold gegenüber der Berliner Boulevardzeitung B.Z. Zusammen mit einigen anderen Nachbarn, die sich ähnlich gestört fühlen, war Petzold seit Jahr und Tag im Gespräch mit der Kirchengemeinde. Die ließ schließlich einen Schalldeckel einbauen, der die Beeinträchtigung deutlich minderte. Dem Anwohner reicht das weiterhin nicht, auch wenn die Glocken bei geschlossenen Fenstern nur noch 46,8 Dezibel erzeugen – was von Fachleuten mit leiser Radiomusik oder gar Vogelgezwitscher verglichen wird.
„Nach Einschätzung von Sachverständigen wirkt sich das nicht mehr störend auf Gespräche in der Wohnung aus, und eine Gesundheitsgefährdung ist damit sicher ausgeschlossen“, versicherte die Kirchengemeinde St. Markus kürzlich in einem Hintergrundpapier für die Presse.
Kirchengemeinde berät über Dauer des Glockengeläuts
Ralf Fischer, Kirchenältester der Gemeinde, ist bemüht, den Verdruss des Nachbarn ernstzunehmen und versprach in den Gremien über die Dauer des Geläuts zu beraten. Man will es, so der Beschluss, bei den fünf Minuten belassen. „Es ist Desinteresse an Kirche und Unverständnis dafür, warum Kirche sich überhaupt in dieser Weise äußern muss“, sagt Fischer. und weiter: „In unserem Verständnis ist das Glockenläuten ein Gebet. Das schwingt darin im wahrsten Sinne des Wortes mit und steigt auf zu Gott.”
In der Anwohnerschaft rund um die Gemeinde gibt es eine fast rituelle Überempfindlichkeit gegenüber „Lärm“ im kirchlichen Gemeindeleben. Eine Zeitlang war eine rumänische Gemeinde zu Gast; prompt gab es Kritik aus der Nachbarschaft, wenn sich die Gläubigen nach dem Gottesdienst unterhielten. Ähnlich verhielt es sich mit einer afrikanischen Gastgemeinde. Es kam zu Beschwerden darüber, dass während der Gottesdienste die Kinder draußen laut lärmten und spielten.
Das Läuten zum Gottesdienst steht eigentlich unter staatlichem Schutz
Anders als die sogenannten Stundenschläge steht das „liturgische Läuten“, das zum Gottesdienst ruft oder zum Innehalten mahnt, unter dem staatlichen Schutz der Religionsfreiheit – im Prinzip. Immer mal wieder gibt es Streitigkeiten zwischen Kirchengemeinden, die ihre Glocken regelmäßig erklingen lassen – und Nachbarn, denen das nicht behagt. Auch in der EKBO. Zuletzt beklagte sich ein Bürger aus Trebatsch, einer Gemeinde in der Nähe von Fürstenwalde, über ein sogenanntes Stundengeläut aus dem Kirchturm, das morgens, mittags und abends ertönte. Das Landgericht Frankfurt (Oder) gab ihm Recht, wie die örtliche Märkische Oderzeitung berichtete.