von Nicole Kiesewetter
Stralsund. Die Mehmel-Orgel in der Kulturkirche St. Jacobi erhitzt derzeit die Gemüter in der Welterbe-Stadt Stralsund: Einem ursprünglichen Gutachten der Orgelbaufirma Eule in Bautzen zufolge sollte das stark beschädigte und geplünderte Instrument komplett rekonstruiert werden. Doch eine von der Stadt eingesetzte Orgelkommission kam jetzt zu dem Schluss: Das ist gar nicht möglich.
Rund 4.000 Pfeifen hat die Orgel einst gehabt, die 1877 in der Werkstatt des Stralsunder Orgelbauer Friedrich Albert Mehmel (1827-1888) fertiggestellt wurden. Doch davon sind heute nur noch rund 300 vorhanden. Die Orgel wurde im Verlauf ihrer Geschichte mehrfach umgebaut, Mehmel selbst hatte bei seinem Orgelbau auch zahlreiche Pfeifen der Vorgänger-Instrumente verwendet.
Widerstand bei einigen Spendern
Die Stralsunder Orgelkommission hatte daher empfohlen, nur das barocke Orgelgehäuse von 1741 wiederherzustellen und ein neues Instrument im Stil des 18. Jahrhunderts einzubauen. Diesem Vorschlag ist die Hansestadt Stralsund mit einem entsprechenden Beschluss gefolgt. Vor kurzem haben die Arbeiten begonnen. Ein Großteil der Kosten in Höhe von rund 2,85 Millionen Euro wird mit Hilfe von Fördermitteln finanziert, ein kleinerer Teil soll aus Spenden bezahlt werden. Doch bei den Spendern regt sich Widerstand.
So hatte die Herbert-Ewe-Stiftung zugesagt, für Betrieb und Wartung der Orgel jährlich 4.000 Euro zur Verfügung zu stellen. "Diese Zusage galt aber der Wiederherstellung der Mehmel-Orgel", sagt der stellvertretende Vorsitzende Dieter Bartels. Werde der Beschluss der Stadt umgesetzt werde, handele es sich nicht mehr um eine Mehmel-Orgel. "Damit würde Stralsund, das immer so viel Wert auf Kulturerbe legt, das Andenken an seinen Orgelbauer Mehmel vernichten." Auch andere Großspender hätten bereits angekündigt, ihre finanziellen Zusagen zurückzuziehen.
Landeskirchenmusikdirektor Frank Dittmer, Mitglied der Orgelkommission, zeigt zwar Verständnis. "Aber es ist nicht Aufgabe der Orgel-Kommission, sich um die Geldflüsse zu kümmern." In das neue Orgelwerk werden die Pedal-Windladen von 1741 eingebaut und etwa 50 restaurierte, große Holzpfeifen Mehmels von 1877 integriert. Dittmer: "Der Name Mehmel wird immer mit der Orgel verbunden bleiben."
Trotz fehlender Pfeifen soll Rekonstruktion möglich sein
Die Orgelbaufirma Eule bleibt indes dabei, die Orgel komplett rekonstruieren zu können. Zwar seien nur neun Prozent der Mehmelschen Pfeifen vorhanden, bestätigt Orgelexperte Jiri Kocourek. Diese ließen sich jedoch 38 der ehemals 69 Register (Klangfarben) zuordnen. Für weitere 25 Register gebe es "Unmengen an Spuren", die eine Rekonstruktion ermöglichten. Es gebe gute Chancen, den Substanzverlust auszugleichen. Einige der Mehmel-Pfeifen seien zwar beschädigt, aber nicht technisch verändert. Die neue Orgel würde zumindest annähernd so klingen wie das Instrument von 1877.
Dem widerspricht Landeskirchenmusikdirektor Dittmer. "Die Orgel war vom Pfeifenbestand keine reine Mehmel-Orgel", sagt er. Daher sei nicht mehr nachvollziehbar, wie weit der Klang von den älteren Pfeifenbeständen geprägt war. "Rekonstruktion" sei die Neufertigung der Orgel "exakt gleicher Weise". Dafür brauche man Fotos, Maßaufnahmen oder Vorbilder andernorts. Diese aber fehlten für die meisten der verlorenen Teile.
Weitere Infoveranstaltung im September
Die Hansestadt betont, sie habe sich vor ihrer Entscheidung in mehreren öffentlichen Sitzungen intensiv mit dem Orgelkonzept auseinandergesetzt. Doch aufgrund des starken Interesses der Öffentlichkeit werde im September noch eine weitere Informationsveranstaltung stattfinden, um das Konzept zu erläutern. Kirchenmusiker Dittmer kennt keinen vergleichbaren Fall in MV. Meistens gehe es um die behutsame Restaurierung vorhandener historischer Instrumente. "Und das ist bei aller Aufregung doch eine beruhigende Erkenntnis." (epd)