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Staatsschutzsenate: Weniger Islamismus, mehr Rechtsextremismus

Das Inland rückt stärker in den Fokus der Stuttgarter Staatsschutzsenate. Seien sie von 2016 bis Ende 2020 schwerpunktmäßig mit Verfahren zum islamistischen Terror befasst gewesen, so hätten seitdem Anklagen aus dem Bereich des Rechtsextremismus und gegen Reichsbürger spürbar zugenommen, sagte Andreas Singer, Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart, am Freitag laut Mitteilung.

Allein 2023 hätten die Stuttgarter Staatsschutzsenate zwölf Angeklagte zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Darunter waren demnach die bundesweit beiden ersten Verfahren, in denen der Generalbundesanwalt wegen schwerer, aus ideologischer Überzeugung begangener Gewalttaten Anklage gegen jeweils einen „Reichsbürger“ vor einem Staatsschutzsenat erhoben hat. „Diese Straftaten sind Folge einer besorgniserregenden gesellschaftlichen Entwicklung der Spaltung und Polarisierung“, so Singer.

Nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz waren Ende 2022 deutschlandweit rund 23.000 Personen der Reichsbürger-Szene zuzurechnen. Die Zahl der Anhänger steige seit Jahren deutlich, hieß es. Der Verfassungsschutz gehe von etwa 2.300 gewaltbereiten Personen aus, von denen sich viele im Besitz schwerer Waffen befänden.

Am 29. April beginnt vor dem Oberlandesgericht Stuttgart die Hauptverhandlung gegen neun Angeklagte unter anderem wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens (Aktenzeichen: 3 St 2 BJs 445/23-4). Der Anklage zufolge habe die Ende Juli 2021 gegründete terroristische Vereinigung das Ziel gehabt, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland mit Waffengewalt und unter Inkaufnahme von Todesopfern zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen.

Zur Durchsetzung ihrer Ziele seien bereits konkrete Vorbereitungen getroffen, insbesondere militärisches Personal rekrutiert, Feindeslisten angefertigt und ein massives Waffenarsenal aufgebaut worden. Auch mit dem Aufbau eines deutschlandweiten Systems von insgesamt 286 militärisch organisierten „Heimatschutzkompanien“ sei bereits begonnen worden. Das Stuttgarter Verfahren richtet sich gegen mutmaßliche Mitglieder des „militärischen Arms“ dieser Vereinigung.

Der Anklage des Generalbundesanwalts liegt ein außergewöhnlich umfangreiches Ermittlungsverfahren zugrunde. Die Ermittlungsakten umfassen laut Mitteilung 700 Stehordner mit rund 400.000 Blatt. Allein die Anklage ist 600 Seiten lang. Zeitgleich mit der Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart wurden bei den Oberlandesgerichten Frankfurt am Main und München weitere 18 Personen angeklagt. Laut Singer handelt es sich um „eines der größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik“. (0813/19.04.2024)