Spiritueller Missbrauch, also die Manipulation von Menschen durch Personen der Seelsorge, beruht auf einem Machtgefälle in Beziehungen, ähnlich dem Verhältnis zwischen Lehrkräften und Schülern. Anders als in Fällen sexualisierter Gewalt können Fälle spirituellen Missbrauchs bislang nicht ohne weiteres strafrechtlich verfolgt werden.
Nach Angaben von Fachleuten stehen Pfarrer oder Seelsorgende, die sich für gottgleich oder spirituell besonders begabt halten, in der Gefahr, Menschen spirituell zu missbrauchen. Sie sehnen sich oft selbst nach Anerkennung und nutzen ihre Machtposition für eigene Zwecke aus. Auf der anderen Seite stehen Menschen, die auf der Suche nach spiritueller Orientierung bereit sind, einen geistlichen Begleiter als gottgleich oder besonders begabt anzuerkennen. Häufig sind dies Menschen in einer Krisensituation.
Spiritueller Missbrauch: Vorstufe zum sexuellen Missbrauch
Spiritueller Missbrauch kann von Einzelpersonen oder Gemeinschaften ausgeübt werden. Er kann als Vorstufe zum sexuellen Missbrauch eingesetzt und im Sinne des sogenannten „Grooming“ zur Anbahnung sexueller Handlungen genutzt werden.
Geistliche, die ihre Macht missbrauchen, sind häufig besonders charismatische, gewinnende Personen, die eine hohe Autorität genießen. Hinzu kommen ein starker narzisstischer Anteil und die Fähigkeit, andere zu manipulieren. Sie erfüllen eine Sehnsucht der Menschen nach geistlicher Führung und bringen diese etwa mit Frömmigkeitsübungen in eine Abhängigkeit. Das kann bis zur Kontrolle oder dem Verbot anderer sozialer Kontakte führen.
Spiritueller Missbrauch ist schambehaftet
Die Folgen für die Betroffenen können ähnlich massiv sein wie bei sexuellem Missbrauch und bis hin zu psychischen und körperlichen Erkrankungen reichen. Spiritueller Missbrauch ist sehr schambehaftet. Viele Betroffene können erst nach Jahren oder Jahrzehnten über das Erlebte sprechen.
Die Kirchen stehen bei der Aufarbeitung und Prävention spirituellen Machtmissbrauchs erst am Anfang. Auf evangelischer Seite ist die Studie der hannoverschen Landeskirche über den Hermannsburger Pastor V., der eine sogenannte Bruderschaft leitete, die erste, die sich mit spirituellem Missbrauch beschäftigt. Auf katholischer Seite wollen die Bistümer Münster und Osnabrück im kommenden Jahr eine umfassende Studie zu spirituellem Missbrauch in zwei geistlichen Gemeinschaften präsentieren.