Vor einer Erwartungshaltung beim Entschuldigen warnt die Sozialpsychologin Friederike Funk. „Zu erwarten, dass das Unrecht nach einer Entschuldigung erledigt sein muss, ist eine furchtbare Botschaft“, erklärte die Professorin für Sozialpsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Trotz einer Entschuldigung habe die Tat ja stattgefunden, nichts sei plötzlich wieder gut. Hilfreich sei für Opfer aber die Wahrnehmung echter Reue. Dennoch entscheide das Opfer selbst, „wann und ob es vergibt“, sagte die Forscherin. Vergebung sei immer ein Geschenk, das man „dankend annehmen, aber nicht einfordern“ könne.
Vor einer Woche hatten Forscher die ForuM-Studie zur Aufarbeitung des Missbrauchs in evangelischen Kirche in Deutschland vorgestellt. Sie diagnostizierten darin unter anderem eine mangelnde Fehlerkultur innerhalb der evangelischen Kirche sowie die „Annahme eines scheinbaren Automatismus von Schuld und Vergebung“ nach Fehlverhalten. Beides seien Faktoren, die sexualisierte Gewalt oder Missbrauch begünstigten.
Neben der persönlichen Schuld eines Täters gebe es auch die kollektive Schuld einer Organisation, sagte Funk. „In so einem Fall fühlt sich das Opfer nicht nur vom Täter, sondern auch von der Organisation betrogen oder ungerecht behandelt.“ Damit deren Entschuldigung glaubhaft sei, müssten die Opfer einen Kulturwandel spüren können: „Die ganze Organisation hat wirklich verstanden, was falsch gelaufen ist, sie möchte nicht nur das unschöne Thema schnell wieder loswerden.“ Die Opfer müssten in den Wiedergutmachungsprozess „absolut und auf Augenhöhe mit einbezogen werden, wenn sie es möchten“, betonte die Psychologin. Die Organisation verhandele in einem solchen Prozess „ihr neues Selbstbild und ihre angestrebten Gruppenwerte“.
Eine Absage erteilte die Professorin ritualisierten Entschuldigungsformeln, wie sie in der evangelischen Kirche bei Abschieden aus einem kirchlichen Amt verbreitet sind. Pauschal Menschen um Vergebung zu bitten, denen man nicht gerecht geworden sei, helfe niemandem. Eine Entschuldigung müsse klarmachen, dass jemand anerkenne und wisse, womit er wen verletzt hat. „Bei einer Entschuldigungsfloskel fehlt die zentrale Komponente von Entschuldigung: die authentische Reue“, sagte Funk. (00/0383/02.02.2024)