Jesus steht neben einem großen Holzkreuz. Er scheint von ihm herabgestiegen zu sein, um zwei anderen Männern zu helfen, die große Lasten auf ihren Köpfen tragen. Die abgebildeten Personen sind barfuß und mit nacktem Oberkörper dargestellt. Dieses Motiv findet sich auf einer Batikarbeit von Solomon Raj (1921-2019), die derzeit in der Ausstellung „Hoffnungsgeschichten“ in der Stadtkirche Celle zu sehen ist.
Der indische Theologe, Dichter und Künstler zeigt auf diesem Bild Mitglieder der Dalit-Kaste, die in der indischen Kastenhierarchie als so genannte Unberührbare ganz unten stehen und denen das Tragen von Schuhen und Oberbekleidung verboten war.
Farbenfrohe Batiken und Holzschnitte in schwarz-weiß
„Jesus begegnet unberührbaren Menschen, hilft ihnen und überwindet so Grenzen“, sagt Johannes Weth, Professor für Systematische Theologie und Hermeneutik in interkultureller Perspektive, bei einer Einführung in das Werk von Raj. Weth lehrt an der Fachhochschule für Interkulturelle Theologie in Hermannsburg.
Neben farbenfrohen Batiken, auf denen Jesus sich von den anderen Abgebildeten oft nur durch seine Dornenkrone unterscheidet, werden zahlreiche Schwarz-Weiß-Holzschnitte von Raj gezeigt. Auf dem Werk „Stacheldraht“ von 1987 beispielsweise steht eine Gruppe von Menschen mit angsterfüllten Augen an einer Grenze, die von einem bewaffneten Soldaten ohne Gesicht bewacht wird. Es handelt sich vermutlich um Menschen aus Bangladesch, die während des Krieges in Pakistan nach Indien flüchten wollen. Mitten zwischen den Flüchtenden ist Jesus zu sehen – Rajs Botschaft Rajs: Christus ist unter den notleidenden Menschen.„Raj stützt sich auf Hoffnungsgeschichten aus der Bibel für eine Welt, die Hoffnung braucht“, sagt Johannes Weth. Raj, der selber aus einer Dalit-Familie stammte und im südindischen District Andhra Pradesh in einer christlich-lutherischen Gemeinde aufwuchs, war vor allem von der Geschichte in Johannes 4 fasziniert, in der Jesus Wasser von der unberührbaren Samariterin annimmt.
Raj war selber ein „Unberührbarer“
„In seiner lutherischen Andhra-Kirche war das Bild von einem weißen Jesus verbreitet, seine vom indischen Alltag geprägten Christusdarstellungen stießen in den Gemeinden auf ein geteiltes Echo. Dagegen war er weltweit als Referent und Künstler gefragt“, sagt Ute Penzel, Referentin im Büro für internationale kirchliche Zusammenarbeit des Missionswerks Hermannsburg. Dasverfügt über mehr als 300 Arbeiten von Raj, der als Studentenpfarrer, als Direktor eines lutherischen Radiosenders und als Dozent in Indien, Äthiopien, England, den USA und auf den Philippinen arbeitete und sich im Ruhestand ganz der Kunst widmete.
In den Seitenschiffen der Celler Stadtkirche werden rund 20 Bilder gezeigt, zu denen auch ein Begleitheft mit Texten zu den einzelnen Werken erschienen ist.
Die Exponate gelangten über den inzwischen verstorbenen Pastor Jörg Müller nach Hermannsburg, der Raj in England kennengelernt hatte. Auch Müllers Schwägerin Gertrud Dahl engagiert sich für die Kunstwerke des indischen Theologen: „Wir haben Bilder von Raj auf evangelischen Kirchentagen bekanntgemacht. Diese besondere Form der Darstellung hat viele Menschen berührt“.
Bis 31. Oktober in der Stadtkirche Celle, Di-Sa 11-17 Uhr sowie nach Gottesdiensten bis 13 Uhr. Näheres zu Raj unter www.solomon-raj.com.