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Soll man Bettlern Geld geben?

Der Bremer Obdachlosen-Seelsorger Harald Schröder und der Heilsarmee-Major Alfred Preuß geben ihre Antwort

Dieter Sell

Mit den wärmeren Temperaturen im Frühling kommen immer mehr Menschen in die Innenstädte, um zu betteln. Dazu zählen vielerorts bandenmäßig organisierte Bettler, die auch Kleinkinder als Lockmittel einsetzen oder Behinderungen vortäuschen. Viele Menschen sind daher verunsichert, ob sie Bettlern Geld geben sollen oder nicht. Was spricht dafür, was dagegen?

PRO

Der Bremer Obdachlosen-Seelsorger Harald Schröder wirbt dafür, sich in die Situation der Bettler hineinzudenken. Auch er nennt aggressives bandenmäßiges Betteln „schwierig“. Doch die meisten Bettler bitten nach seinen Erfahrungen still um eine Spende. „Und auch nicht jeder Osteuropäer ist einer Bande angeschlossen.“ Für einen erheblichen Teil der Bettler sei die „Sitzung“ die einzige Einnahmequelle. „Dass es genügend staatliche, kirchliche oder sonstige Hilfsangebote gibt, das stimmt schon lange nicht mehr.“ Eine Arbeit, die zudem mit erheblicher Überwindung verbunden sei: „Du machst dich seelisch nackt.“
Schröder ermutigt dazu, kurz stehen zu bleiben und mit Bettelnden auf Augenhöhe zu sprechen, ohne oben und unten. Das sei wichtig für die Menschen, die auf der Straße hockten und signalisiere ihnen: „Ich sehe dich. Hören Sie zu, wenn es Ihre Zeit erlaubt, zugleich dürfen Sie emotionale Distanz wahren.“
Ein ehrliches Wort sei wichtiger als Geld, das aber auch ein Symbol der Zuwendung sei. Trotzdem: „Sie dürfen ohne schlechtes Gewissen Nein sagen.“ Die Unsicherheit, ob die Hilfe wirklich sinnvoll sei, lasse sich nie ganz ausräumen. Und doch sagt Schröder: „Vorzuschreiben, wozu das Geld verwendet wird, dazu habe ich kein Recht. Auch wenn der Mensch vor mir in einer Notlage ist, sollte man im Bettler keinen ‚Fall von Bedürftigkeit‘ sehen. Vor uns sitzt ein Mensch.“
Der Seelsorger hat eine Erklärung dafür, warum manche Menschen Bettlern mit einem unguten Gefühl begegnen. „Bettler stören durch ihre körperlich sichtbare Präsenz der Armut inmitten der Konsum- und Kapitalwelt. Bettler stören den schönen Schein der Innenstädte, die immer wieder neu die Illusion der Teilhabe aller durch Konsum verkaufen. Bettler offenbaren Armut. Deshalb gilt für mich: Geben erlaubt.“

 

KONTRA

Heilsarmee-Major Alfred Preuß vertritt eine andere Position und ist dagegen, Bettlern Geld zu geben. Wer das tue, werde seiner sozia­len Verantwortung nicht gerecht. „Durch Almosen sorgen wir dafür, dass Menschen in ihrer prekären Situation bleiben, dass sie auf der Stufe des Bittenden und Bettelnden gehalten werden“, meint der Leiter der Heilsarmee-Gemeinde im nordrhein-westfälischen Siegen. Und: „Das Geld wandert oft in Drogen-, Alkohol- oder Spielsucht.“
Besonders problematisch findet Preuß das in Banden organisierte Betteln: „Da werden beispielsweise Kinder regelrecht abgerichtet, um Geld zu erbetteln. Es gibt Berichte, nach denen das eingenommene Geld in kriminelle Hände geht. Den Bettlern selbst hilft es nicht – das ist menschenverachtend und ausbeuterisch.“
Zwar habe er schon mit Lebensmittelpaketen geholfen, wenn er an der Tür darum gebeten worden sei. „Als Erste Hilfe. Aber das war dann immer mit einer Einladung in unser Begegnungscafé verbunden, wo die Chance besteht, den Ursachen der Not auf den Grund zu gehen und gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, damit die Menschen wieder auf eigenen Füßen stehen können, beispielsweise mit einer Schuldnerberatung.“
„Der Euro jedenfalls reicht nicht, das belegte Brötchen, das Lebensmittelpaket und der Fahrschein auch nicht, wenn wir die Augen vor der Not verschließen, die sich hinter der Frage nach dem Euro verbirgt“, meint Preuß und betont: „Deshalb ist meine Überzeugung: Almosen nein – Helfen ja.“