Migration prägt auf vielfältige Weise die deutsche Sprache. Die Sprachwissenschaftlerin Rita Heuser arbeitet mit ihrem Team an der digitalen Erfassung sämtlicher Nachnamen – und forscht zu deren Herkunft.
Der häufigste Nachname in Deutschland? Das ist – wer hätte das gedacht – der Name “Müller”, gefolgt von “Schmidt”. Berufe und Orte bilden oft die Grundlage von Namensbildung – und manchmal auch Zuwanderung: Ein Forschungsprojekt an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Technischen Universität Darmstadt befasst sich seit 2012 mit Familiennamen und deren Herkunft. “Das digitale Familiennamenwörterbuch Deutschlands” enthält bisher 850.000 Namen, von denen bereits rund ein Zehntel kategorisiert wurde. Neben Rang und Häufigkeit gibt es dort auch Informationen zur Etymologie, also Wortbedeutung der Nachnamen.
Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach am Montag in Mainz mit Projektleiterin Rita Heuser über Namenskunde, den Einfluss von Migration auf Familiennamen – und Ausgrenzung von Menschen mit fremd klingenden Namen.
Frage: Welche Aspekte aus dem Bereich Migration sind bisher Gegenstand der sprachwissenschaftlichen Forschung?
Antwort: Es gibt bereits seit ein paar Jahrzehnten einen eigenen Bereich der Migrationslinguistik. Die Anfänge liegen in der Zeit, als vermehrt Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Damals begann man sich in der Forschung zu fragen, wie sich das auf die Sprache hierzulande auswirkt und wie sich das weiterentwickelt.
Heute gibt es verschiedene Felder auf dem Gebiet: Etwa der Spracherwerb in der Schule. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen, was passiert, wenn Migranten Deutsch lernen und wie man die deutsche Sprache optimal im Unterricht vermitteln kann. Spannend ist auch der Bereich des Ethnolekts: Da beschäftigen sich Linguistinnen und Linguisten mit einer Varietät der deutschen Sprache, die im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit oder auch Sprachkontakt zu anderen Muttersprachlern entstanden ist. Denn jede Sprache nimmt durch Einwanderung Neues auf.
Frage: Wie äußert sich das?
Antwort: Ein interessantes Phänomen unter den Ethnolekten ist sicherlich die Jugendsprache unter türkischstämmigen Jugendlichen. Diese ist so populär geworden, dass sie von Comedysendungen adaptiert wird. Dass Jugendliche mit Migrationshintergrund diese Sprache nutzen und kultivieren, hat natürlich auch mit Identität zu tun: Sie werden damit Teil einer eigenen Gruppe, die sich von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzt. Oft wird damit auch der Ernst aus der Konversation genommen, man will cool klingen.
Frage: Wie spiegeln Namen Migration wider?
Antwort: Namen erzählen immer Zuwanderungsgeschichten. Das sehen wir bei unserer Arbeit am Forschungsprojekt “Digitales Familiennamenwörterbuch”. Wenn man all diese Namen und ihre Herkunft sieht, kommt schon die Frage auf ‘Was ist eigentlich ein deutscher Name?’.
Es ist sehr schwer, das einzugrenzen, denn in der Vergangenheit konnten die eingewanderten Namen angepasst und verändert werden. Die größte Gruppe eingedeutschter Nachnamen sind die slawischen Namen. Der Name Novak etwa ist polnischen Ursprungs, in Deutschland aber sehr verbreitet. Auch viele weitere Namen werden gar nicht mehr als “nichtdeutsch” wahrgenommen, weil es sie bei uns schon so lange gibt.
Frage: Können Sie ein Beispiel nennen?
Antwort: Schlesien ist etwa ein Gebiet, in dem Nachnamen durch den engen Sprachkontakt polnisch, tschechisch und deutsch werden konnten. Da die Namen häufig verändert wurden, ist es heute in einigen Fällen gar nicht so einfach festzustellen, woher der Name eigentlich kommt. Es gab natürlich auch die andere Richtung, dass Deutsche im 19. und 20. Jahrhundert etwa in die USA auswanderten und ihre Nachnamen dort anpassten. So wurde aus Eisenhauer dann Eisenhower.
Frage: Bleiben manche Namen dauerhaft in ihrer ursprünglichen Form erhalten?
Antwort: Durchaus. Mein eigenes Interessensgebiet sind die Nachnamen französischen Ursprungs. Da sind einige bis heute komplett erhalten. Zum Beispiel “Lafontaine”. Manchmal bleibt aber auch nur die Schreibung gleich und die Aussprache ändert sich Im Rheinhessischen kommt der Name “Choisi” vor, wird aber dort eher wie “Scheusi” ausgesprochen.
Bei anderen ist die Schreibweise auch eingedeutscht. Schwalie kommt etwa von Chevalier; Pieroth von Pierrot, Fontane aus Fontaine. Zu beobachten ist übrigens, dass Namen egal welcher Sprache seit den 1950er-Jahren meist nicht mehr eingedeutscht werden. Das sehen wir an den Namen der italienischen, türkischen und spanischen Gastarbeiter, die einfach so geblieben sind.
Frage: Wie äußert sich Diskriminierung im Zusammenhang mit Namen, die auf einen Migrationshintergrund schließen lassen?
Antwort: Menschen wurden immer schon wegen ihres Namens ausgegrenzt, und Namen wurden als fremd empfunden, seit es Einwanderung gibt. Die Endung -ski, die für die im Ruhrgebiet häufigen polnischen Namen typisch ist, wurde etwa verwendet, um abwertende Begriffe zu bilden, etwa Besoffski oder Radikalinski. Es sind vermutlich Angst, Vorurteile oder Vorbehalte der Menschen vor dem Fremden, die dazu führen, dass sie sich in dieser Weise abgrenzen.
Die Forschung zur Migrationsonomastik ist noch ganz am Anfang. Es gibt mittlerweile Studien zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Sie zeigen uns, dass Menschen durch fremd klingende Namen auf diesen Gebieten häufig Nachteile haben.