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Sehnsucht nach dem Frühling

Auf Januar und Februar könnten in unserer kühlgemäßigten Klimazone viele Menschen verzichten. Narzissen, Primeln und Erdbeeren werden im Handel zwar schon angeboten. Aber eine Hilfe ist das kaum. Ein kleiner Wegweiser durch die kargen Monate

Jean Kobben - Fotolia

Januar… Februar… Frühling ist der erste Wunsch! Die einen trauern und bekommen schon den November-Blues, sobald das Thermometer unter 19 Grad fällt und nicht mehr alle Blätter grasgrün sind. Andere ticken ganz anders, wie die über Generationen berühmte Kinderbuch-Maus „Frederick“ von Leo Lionni: Sie haben im Sommer Farben, Licht und Wörter für den Winter gesammelt – und sammeln noch weiter, solange die Herbstsonne Früchte und buntes Laub zum Leuchten bringt. Ihr Akku ist noch randvoll. Dann kommt die Lichterzeit mit der Vorfreude auf Advent und Weihnachten. Doch nach Silvester fällt der Pegel; es zieht sich hin – bonjour tristesse.

An grauen Tagen für gute Stimmung sorgen

„Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte“. Die romantischen Zeilen des Lyrikers Eduard Mörike (1804-1875) brennen sich ebenso ein wie das trübe Herbst-Statement von Rainer Maria Rilke (1875-1926): „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“. Sie drücken Grundstimmungen aus, denen man sich im Alltag nur schwer entziehen kann. Wer morgens im Dunkeln zur Arbeit fährt und nachmittags im Dunkeln zurück, sollte gut für sich sorgen, wenn die Stimmung zu kippen droht.
Energie- und Konzentrationsverlust, Müdigkeit, Antriebsarmut: Von „Winterdepression“ spricht der Volksmund. Beschrieben hat diesen natürlichen Energiesparmodus schon im 4. vorchristlichen Jahrhundert der berühmteste Arzt der Antike, Hippokrates von Kos. Er sah in jeder Krankheit eine unzureichende Anpassung des Menschen an die Jahreszeiten.
Apropos Jahreszeiten: Darum beneiden uns die Menschen vieler Länder der Welt, die diesen Wechsel von Werden und Vergehen nicht kennen. Die fasziniert sind, wenn Bäume keine Blätter haben und fieser Regen und tiefe Wolken über ein ausgekühltes Land jagen. Winter: auch eine Voraussetzung dafür, sich auf einen neuen Frühling und Sommer freuen zu können – statt sie als selbstverständlich hinzunehmen.
Nörgler halten den Frühling freilich für die überschätzteste aller Jahreszeiten und Frühlingsgefühle für ein Gerücht. Der Testosteronspiegel sei gerade im November besonders hoch – eine evolutionäre Vorrichtung der Natur, damit der Nachwuchs im warmen Sommer geboren wird. Frühjahrsmüdigkeit sei die Realität.
Wer im Winterwettertief hängt, den interessieren solche theoretischen Betrachtungen ohnehin wenig. Die einfachste Reaktion auf Winterfrust ist Konsum: Schokolade, Käsebrot, deftige Winterkost. Der nächste wählt Bier und Wein oder geht shoppen. Alles nicht nachhaltig – höchstens auf der Negativseite: Zunahme auf der Waage und Abnahme auf dem Konto und im Portemonnaie.
Besser sind Wellness und einfache Wissenschaft: viel Bewegung, Sport und frische Luft; rausgehen, sobald das Wetter mal nicht allzu eklig ist. Licht! Lampen an, besser eine mehr als eine weniger. Stromsparen ist bei wochenlangem Lichtmangel nicht mehr das ökologische Mittel der Wahl. Bis zu 100 000 Lux tankt man an einem klaren Sommertag; maximal die Hälfte an einem trüben Wintertag. Abhilfe können schon sogenannte Tageslichtlampen schaffen: hochdosierte Lichttherapie für etwa 100 Euro, ähnlich indiziert wie Rotlichtlampen gegen Nebenhöhlenentzündungen und Muskelbeschwerden.

Kleine Fluchten: Ausflug, Saunabesuch oder Museum

Aber es gibt noch andere Möglichkeiten, diese Wochen zu überbrücken. Manche Berufe ermöglichen das nicht – doch wer es kann, sollte eine Handvoll Urlaubstage ins neue Jahr hinüberretten, um sich die mühseligen grauen Winterwochen in der Mitte durchzuschneiden. Solche freien Tage können Tankstellen sein: um ein Wellnessbad oder eine Sauna zu besuchen, ein exotisches Restaurant, die neue Kunstausstellung oder den alten Plattenschrank – oder ein Städtchen in der Umgebung, das man schon seit Jahren auf dem Zettel hat. Solche kleinen Winterfluchten liefern ein paar Tage Vorfreude – und dann noch positive emotionale Nachwirkungen.
Mancher Bundesbürger, vorzüglich entlang der Rheinschiene, kann sich je nach persönlicher Disposition auch an der anstehenden Karnevalssession begeistern. Und, was immer geht: sich an frischer Luft bewusst kalte Füße und Ohren zu holen, um sie dann beim Vollbad oder mit Tee an Kamin oder Heizung wohlig aufzuwärmen. Dunkel ist, mit einigem Selbstbeflunkern, gar nicht so schlimm, sondern eher eine persönliche Herausforderung. Und schon bald, wie alle Jahre wieder, sind sie dann da, die Vorboten des Frühlings: der erste Krokus auf der Wiese und das blaue Band der Sympathie. Neuanfang – und Frühjahrsputz.